Über okkulte Memes, Plastikschweine und Telefonanrufe
In der DLF Kultur Sendung Breitband gab es am Samstag ein Feature zu Substack und OnlyFans, bei dem ich auch etwas gesagt habe. Es ging im weitesten Sinne um die Vor- und Nachteile der Individualisierung durch neue Publikationsplattformen. Ich kann euch außerdem diesen langen Artikel zum Thema empfehlen, der neulich im Substack-Newsletter von Anne Helen Petersen zitiert wurde und bin natürlich interessiert, was ihr von dieser Entwicklung haltet.
Meine Sammelliste mit Inspirationen für diesen Newsletter hat mittlerweile schon 34 unbearbeitete Punkte. Es ist eigentlich ein großes Glück, immer wieder auf so viele interessante Phänomene zu stoßen, aber vermutlich muss ich irgendwann doch einige Fundstücke löschen. Kill your Listendarlings. Ich hoffe sehr, dass euch die Netzwunderkammer dieser Woche gefällt.
1.
Manchmal schaue ich beim Scrollen in der Timeline sehr lange auf ein GIF ohne zu realisieren, dass es schon gelooped hat. Wenn der Moment, an dem das GIF wieder von vorne anfängt, also der Loop neu beginnt, entsprechend gewählt ist, dann kann der Eindruck einer linear weiterlaufenden Aufnahme entstehen: Ein Mann schenkt ewig Whiskey in ein Glas, ein Vogel füllt immer mehr Steine in eine Flasche, ein Mann schlägt eine Glasvitrine ein.
Die visuelle Konvention eine Bewegtbildaufnahme wahrzunehmen ist linear und nicht kreisförmig, deswegen finden sich in den sozialen Medien unter den entsprechenden GIFs oft Kommentare, in denen die Anschauenden schildern, dass sie auf einen Loop hereingefallen sind.
(Zur Technikgeschichte des GIFs ist dieser Artikel empfehlenswert. Und was passiert eigentlich gerade mit Karl-Marx-GIFs?)
2.
Der Telefonanruf ist tot, lang lebe der Telefonanruf! Rufen wirklich nur noch eure Mütter auf dem Festnetz an? Artikel über das Ende des Telefonanrufes besonders bei der jüngeren Generation finden sich immer wieder. Dazu gehört als Gegenstück auch der Selbstversuch wieder mehr zu telefonieren. Medienwandel verändert die Bedeutung, die wir Medien zuschreiben und unser Verhältnis zum Festnetztelefon ist mittlerweile anders als noch vor zwei Jahrzehnten. In Musiktexten ist das Telefon jedoch immer noch ein großes Thema:
“Je altmodischer das Telefonat wird, desto stärker wird seine Symbolkraft. Auch und gerade in Geschichten und Songs. Und vielleicht wissen Adele und Drake auch einfach, dass es vorbei ist mit der Telefoniererei. Sie wissen, dass sie von Gestern singen.” (schreibt Nadja Schlüter schon 2015 bei jetzt)
Interessant ist, dass das Telefonieren in der Pandemie vielleicht wieder wichtiger wurde, aber auch noch an einem anderen Ort eine überraschende Renaissance erlebt: In TikTok- und Twitter-Videos, für die sich der fiktive Telefonanruf als Format besonders gut eignet.
3.
Spanien hat eine interessante Geschichte von laienhaft durchgeführten Kunstrestaurationen, deren unfreiwillig komische Resultate zu Memes geworden sind. Ein Jesusbild in einer Kirche und das Barockgemälde einer Madonna wurden bereits zerstört. Jetzt war die Stadt Palencia mit einer ruinierten Statue an der Reihe. Die Stadt Borja hat jedoch seit ihrem “restaurierten” Jesus-Fresko einen Touristenboom zu verzeichnen. Vielleicht sind diese merkwürdigen Restaurationen auch einfach eine gute Form des Stadtmarketings?
4.
Im Kontext der US-Wahl fiel mir auf, dass ich häufig unter Tweets von Trump Copypasta-Kommentare sah, die auf Armenisch oder Amharisch geschrieben waren. Leider kann ich beide Sprachen nicht sprechen, aber die Translate-Funktion von Twitter verriet mir, dass die Inhalte der Kommentare gruselig bis magisch klangen. Teilweise wurde der Copypasta-Text zusätzlich mit unheimlichen oder satanistischen Bildern verknüpft. Es handelt sich hier also um eine Form von Fluch-Meme, das zeitnah auch jenseits von Trump-Tweets auftauchte. Rasch wurde kritisiert, wie hochproblematisch es ist, dass Sprachen aufgrund ihrer Fremdheit für englischsprachige Nutzer*innen zu einer Art memetischen Zaubersprache stilisiert werden. Das hat leider der Popularität des Memes nur bedingt Abbruch getan.
Diese problematische internet-okkulte Praktik bezieht sich vermutlich implizit auf die Faszination magischer Theorie für die henochische Sprache und reproduziert dabei leider auch die rassistischen und faschistischen Elemente magischer Theoriegeschichte. Memes entstehen eben nicht in einem kontextfreien Raum, sondern beziehen sich auf gesellschaftliche, historische und ideengeschichtliche Phänomene, auch wenn dies manchen Nutzer*innen nicht bewusst sein dürfte.
Zu politischen Implikationen von Hexerei und Magie und der Rückkehr der Hexe in der modernen Kunst, kann ich übrigens diesen Artikel empfehlen:
“Peppe makes an important distinction between two approaches to magic: ‘Witches’ magic is the wisdom and practice of oppressed peoples; the occult is the organized keeping of secrets by those in power’. Witches’ magic is embodied knowledge; occult magic is closer to black-box military technology. ‘It is naïve to simplify the politics of magic and overlook its use by fascists and white supremacists,’ says Peppe.” (Tom Jeffreys: “The Return of the Witch in Contemporary Culture” 26.11.18)
5.
Twitter hat in der Appversion jetzt Instagramstories und nennt sie Fleets. Soweit so uninteressant. Wie immer, wenn eine Plattform neue Features einführt oder Wesentliches stark verändert, gab es viele Beschwerden und dann wieder Meta-Kommentare über diese Beschwerden. Außerdem entstand ein Meme, bei dem es darum ging die Story-Funktion mit kleinen Profilbildkreisen in Bilder vieler Programme und Gegenstände einzufügen, von Excel, zu Maps, zur Taschenrechnerapp bis zur Banane.
6.
Die zur Content-Moderation von Twitter verwendeten und mit der Markierung der Tweets von Donald Trump bekannt gewordenen Hinweise, dass der Inhalt eines Tweets von offiziellen Quellen bestritten werde oder falsch sei, sind nun selbst zum Meme geworden. Wahrscheinlich ist das eine Art Ouroboros der Postfakutalität.
7.
Habt ihr die Legobauanleitung für eine Trumpfigur gesehen? Die Form ist inspiriert von dem zum Meme gewordenen Foto von Donald Trump mit einem rasenmähenden Jungen vor dem Weißen Haus. (Das Meme hatte ich bereits in diesem Newsletter kurz angesprochen.) Über Memes, die aus dem virtuellen Raum in die Realität übertreten, schrieb ich bereits zuvor, aber der Lego-Trump hat mich besonders gefreut.
8.
1997 fielen 5.000.000 Legoteile von einem Containerschiff ins Meer und werden seitdem an Stränden angespült. Der Account @LegoLostAtSea sammelt jedoch nicht nur diese unzähligen Legoteile und sortiert sie zu Bildern, sondern auch andere Plastikgegenstände, die am Strand angeschwemmt werden. Die aus den Fundstücken entstehenden Bildkompositionen sind ein sehr eindrückliches Zeugnis für den Einfluss des Menschen auf die Umwelt. 2021 wird ein Buch mit den Bildern publiziert werden.
Zum Abschied noch ein Link zu einem Video von männlichen Opernsängern, bei dem statt Gesang Nebelhörner erklingen und zu einem Video mit Modemsounds statt Gesang. Die beiden Clips bringen mich immer wieder, wenn sie in meiner Timeline auftauchen, zum lachen. Grund genug sie einmal mit euch zu teilen.
Das war es für dieses Mal. Ich freue mich auf eure Rückmeldungen, Hinweise und weiterführenden Gedanken. Wenn euch der Newsletter gefällt, bin ich euch wirklich sehr dankbar für Weiterempfehlungen. Mit diesem Link kann er geteilt werden: Phoneurie. Wie immer findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram. Habt eine gute Woche!