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Vielleicht ist Eurovision mein Lieblingsfesttag auf Twitter, denn zu kaum einem anderen Ereignis kommt in meiner Timeline wirklich alles zusammen, was mir an Twitter so gut gefällt: gute Bildmemes (für die Eurovision zweifelsohne einfach sehr viel Material bietet), spannende Analysen und lustige virale Tweets. Ich schaue deswegen seit Jahren enthusiastisch Eurovision und lese mit einem Auge in meiner Timeline mit, wie über die einzelnen Beiträge gestritten wird und was für lustige Tweets sie inspirieren. In diesem Jahr hat mir dieser Tweet am besten gefallen:
1.
Die letzten zwei Wochen waren großartig für alle, die sich für soziale Medien und den Buchmarkt interessieren, denn es gab nicht nur eins sondern gleich zwei Meme-Bücher. Als Meme-Bücher würde ich – analog zu Meme-Foods, Meme-Aktien oder anderen Meme-Produkten – Bücher bezeichnen, die aufgrund eines Memes in den sozialen Medien zu großen Verkaufserfolgen werden. Im Unterschied zu Bestsellern klassischer Art werden diese Bücher so erfolgreich, weil um sie herum ein Meme entsteht, das oft nur sekundär oder gar nicht mit ihrem Inhalt zu tun hat. Genauso wie Meme-Sportgetränke (looking at you Prime) nicht gekauft werden, weil sie besonders gut schmecken, werden auch Meme-Bücher nicht wirklich gekauft, weil ihr Inhalt so überzeugend ist (unabhängig davon, dass er das natürlich sein kann). In beiden Fällen geht es Menschen weniger um das Produkt selbst als darum, an einem viralen Moment teilzuhaben.
Es ist nämlich für viele Menschen schön bei einem sozialen Phänomen mitzumachen, ob das nun ein Modetrend ist oder ein virales Meme. Der soziale Aspekt Zusammengehörigkeitsgefühl durch gemeinsamen Konsum zu markieren wird noch stärker, wenn er innerhalb einer Fangemeinschaft entsteht. Als der Verlag Flatiron für Juli ein mysteriöses Buch ohne Titel ankündigte als “4C Untitled Flatiron Nonfiction Summer 2023” begannen viele Taylor Swift Fans ihre Überzeugung in den sozialen Medien zu verbreiten, dass es sich bei dem Buch ganz sicher um Taylors Autobiographie handeln würde. Swifties sind eine eingeschworene Gemeinschaft mit beinahe kultischer Verehrung ihres Stars und dementsprechend bestellten sie das Buch en masse vor. Tatsächlich handelt es sich – wie später erklärt wurde – bei dem Flatrion-Buch übrigens um ein Bucht der K-Pop Band BTS, deren Fandom sich Army nennet und und ebenfalls als Gemeinschaft mit großem Einfluss in den sozialen Medien auftritt.
Doch das mysteriöse Buch aus dem Hause Flatiron ist nicht der einzige Titel, der in den vergangenen zwei Wochen durch die Timelines jagte. Am 7. Mai tweetete ein der User “@maskofbun” mit dem grenzgenialen Profilnamen “Bigolas Dickolas” einen Empfehlungstweet, der vermutlich aufgrund der darin enthaltenen Dringlichkeit sofort viral ging.
Am Ende einiger wilder Tage standen bestsellerartige Verkäufe des Buches in den USA, ein vielfach trendender Username, eine verblüffte Autorin und schließlich sogar ein italienischer Verlag, der einem “Bigolas Dickolas”-Empfehlungstweetsticker auf das Buch druckte (und ja, ein Manga wird wegen BD auch nachgedruckt – eh klar – und wichtiger als der Pulitzer ist BD auch).
Wie immer, wenn das gute alte Internet dem guten alten Buch zu einem Hype verhilft, weinen viele der notorisch gebeutelten Buchmenschen Freudentränen (Disclaimer: I am one of them). Immerhin können Buch-Memes beweisen, dass das Buch so lebendig ist wie noch nie usw. Natürlich ist die Vorstellung für viele klamme Autor*innen (Disclaimer: I am one of them) verlockend, eines Tages in den Fokus eines Bigolas Dickolas zu geraten und durch den Hype eines Memes in die Bestsellerlisten zu schießen.
Ganz so einfach ist die Gleichung jedoch nicht, denn das Buch von Amal El-Mohtar war auch zuvor gar nichtmal so unsichtbar, immerhin hat es den prestigeträchtigen Hugo-Award gewonnen – ein bisschen Vorabsichtbarkeit braucht es also schon. Alternativ werden oft Bücher genau dann zu viralen Themen, wenn um das Buch herum eine interessante Geschichte zu spinnen ist: Autor*innen sind in einer finanziellen Bredouille, die darüber hinaus auch tweetable ist, haben traurig vor komplett leeren Räumen gelesen und dazu einen passenden Tweet abgesetzt oder sie haben ihren Tod in einer Facebook-Gruppe gefaked, um die Verkäufe anzustacheln und andere aberwitzige Dinge, die das Internet interessieren könnten. Wie oben schon geschrieben, geht es bei Buch-Memes eben vor allem um das Drumherum des Buches und das soziale Event eines Memes. Den Literaturbetrieb werden Buch-Memes also eher nicht retten. Sie können dafür aber ein schöner Traum für Autor*innen bleiben, die nun darauf hoffen dürfen mit ein wenig Timelinezauber oder guten Social Media Skills ihre Bücher zu Memes werden zu lassen.
Und vor allem gillt natürlich folgendes:
2.
Inhalte in den sozialen Medien werden besonders häufig viral, wenn sie viele am besten polarisierende Meinungen einladen. Im schlimmsten Fall bekommen wir aufgrund dieser Dynamik einen Politiker wie Donald Trump im besten Fall wochenlange Diskussionen darüber, ob ein Kleid blau oder braun ist. In der letzten Woche beschäftige vor allem eine Debatte die Twitter-Timelines, nämlich die Frage, wer hotte war, der junge Pacino oder der junge De Niro – es ist natürlich völlig offensichtlich, dass hier eigentlich De Niro haushoch hätte gewinnen müssen. Zumindest die Wahlbeteiligung ließ nicht zu wünschen übrig:
3.
Ich liebe ein erfolgreiches Tweet-Format der letzten Wochen, in dem Popkultur-Figuren als “the villain / the real villain” eingeteilt werden. Endlich wurde so sichtbar, dass natürlich immer Jerry der Schurke war und nicht der arme Tom:
In eigener Sache:
Ich habe in meiner FAS-Kolumne versucht, Deinfluencing zu erklären. Wenn ihr Themenvorschläge oder Fragen habt, die ich in der Kolumne bearbeiten soll, dann könnt ihr euch gerne bei mir melden, z.B in den Kommentaren zu diesem Newsletter.
Mit diesem Tool kann man schauen, wo man von seinem Standort in einigen Ländern Europas aus in 5 Stunden mit dem Zug hinkommt – mein Wohnort Reykjavík hat jedoch leider gar keinen Bahnverkehr. Hier gab es einen schönen Handtaschentweet (trust me!).
Mit diesem essentiellen Mr-Beast-Tweet wünsche ich euch einen schönen Sonntag. Ihr findet mich wie immer auf Twitter, Mastodon, Instagram oder TikTok. Für längere Gespräche über AI, Tech, Bücher und das Schreiben bin ich aktuell häufig im 54books-Discord zu finden und freue mich euch da zu treffen (in den letzten Tagen ging es unter anderem um Kohl- und Broccoli-Menschen).