Über Clickwork, Juwelen und Sportgetränke
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Eigentlich hatte ich für diese Woche geplant mit der Überschrift “NomNomLetter” vorwiegend über Essen und Social Media zu schreiben, aber dann ist wieder so viel passiert, dass nur ein Teil dieses Newsletters zu einem NomNomLetter geworden ist.
Ich habe in den vergangenen Tagen eine weitere kurze Lesereise in Deutschland gemacht und dabei viel darüber nachgedacht, wie der seit dem vergangenen Frühsommer anhaltende AI-Hype die Rezeption meines zweiten Romans “Automaton” verändert hat, denn in meinem Roman geht es unter anderem um Clickwork als Voraussetzung von AI.
Bei meiner Lesereise kurz nach dem Erscheinen des Romans im März 2022 war AI für viele Anwesende zwar faszinierend, aber nur für einen kleineren Teil ein Phänomen, mit dem sie bereits ernsthaft und bewusst interagiert hatten. Mittlerweile sind jedoch Text- und Bildgeneratoren, FilterApps und Bildberarbeitungstools stark in den Mainstream vorgedrungen und bei vielen in irgendeiner Art und Weise angekommen. Gleichzeitig steht aber das Wissen um Funktionsweise der Netzwerke, die Datensätze, mit denen die Netzwerke trainiert werden, die Entstehungsbedingungen und die oft fehlende Kuratierung, noch ganz am Anfang. Zumindest erscheinen jetzt endlich kritische Reportagen, die sich mit den Arbeitsbedingungen hinter den beeindruckenden Netzwerken auseinandersetzen. Ich bin gespannt, ob sich in den nächsten Monaten das Bewusstsein für Clickwork noch weiter schärfen wird.
1.
In bin Mutter von einem Teenager und lebe in Island, wo erstens der Medienkonsum bei Jugendlichen deutlich liberaler gestaltet ist als in Deutschland und zweitens die Geschäfte vollgestopft sind, mit aus aus den USA importierten Lebensmitteln (Island hatte lange eine US Army Base und die Verbindung zu den USA ist traditionell ziemlich eng). Diese Voraussetzungen führen dazu, dass fast jeder Foodtrend von TikTok irgendwann auch in meinem Kühlschrank landet. Vor einigen Wochen war nun das von den Youtubern Logan Paul und KSI vermarktete Sportgetränk Prime dran.
Die Sportvariante des Getränks wurde schon 2022 auf den Markt gebracht, aber die 2023 veröffentlichten Energydrink-Varianten kurbelten den Hype erneut an und sorgten erneut für einen raschen Ausverkauf der bunten Flaschen. Logan Paul und KSI haben beide viele Millionen Subscriber auf Youtube und bei Influencer-Boxkämpfen gegeneinander gekämpft, bevor sie ihre eigene Getränkemarke starteten (hier das erste Mal angekündigt).
Die Getränke sind besonders bei Jugendlichen dermaßen populär gewesen, dass Geschäfte sehr rasch und ansturmartig leergekauft wurden. Ins Island wurde die Abgabe von Flaschen deswegen pro Kopf drastisch reduziert, um allen Kundinnen und Kunden die Chance zu geben eines der begehrten Getränke zu erstehen. (Ich habe alle Prime-Sorten probiert und bin geschmacklich nicht wirklich überzeugt.) In Deutschland sind die Getränke übrigens noch nicht erhältlich, werden aber sicher auch dort für große Nachfrage sorgen, sobald sie in den Läden stehen.
Ich finde das Phänomen “Prime” spannend, weil viele Eltern in meinem Umfeld dem Hype erstmal völlig ratlos gegenüber standen. Weder Logan Paul noch KSI spielen in der Welt vieler Erwachsener eine große Rolle, weswegen auch zahlreiche Geschäfte sichtlich von dem Andrang auf die Getränke überfordert waren. Prime ist damit ein sehr gutes Beispiel für Meme-Food – Lebensmittel, die zum Meme werden und durch Social Media plötzlich wahnsinnig erfolgreich werden und dabei doch auf eine sehr spezifische Zielgruppe beschränkt bleiben, nämlich die Nutzer*innen von TikTok und Youtube.
Ein anderes Meme-Food, das 2021 und 2022 für Begeisterung sorgte, waren Chips der Marke Takis, die von dem populären Streamer Ninja und dem TikToker D’Amelia auf TikTok mit dem Slogan “Takis are seriously Intense” angepriesen wurden. Auch hier sorgte das daraus entstehende Meme für eine riesige Nachfrage. Im Gegensatz zu Prime schmecken Takis übrigens sogar gut: WinWin.
2.
In den letzten Wochen wurden Resultate aus einer weiteren AI-Anwendung in den sozialen Medien rauf und runter geteilt, in der man unterstützt von ChatGPT mit historischen Figuren sprechen kann. Die meisten Tweets beziehen sich auf “Historical Figures”, aber bei “Hello History” und “Character.AI” gibt es ähnliche Angebote. Wenig überraschend sind viele der Resultate geschmacklos bis verstörend und es werden zahlreiche Fehler und Unwahrheiten produziert. Mich interessiert an diesen Anwendungen besonders, dass sie auf der Bereitschaft von Menschen aufbauen, AI generierten Content als faktisch zu akzeptieren. Es ist ja eine eigentlich absurde Annahme, dass eine AI korrekt und überzeugend ein Gespräch mit einer historischen Figur ermöglichen könne. Dies gilt umso mehr, wenn durch die Möglichkeit historische Figuren aus verschiedenen Epochen zu kombinieren, die Komplexität noch erhöht wird.
Diese Anwendungen sagen – übrigens genauso wie all die Nachkolorierungs-Apps und die Apps mit denen statische schwarz-weiß Aufnahmen aus der Vergangenheit in Bewegung gebracht werden (mehr dazu hier) – viel darüber aus, wie Menschen sich aktuell AI als eine Art Allmacht imaginieren. Die immer verbreitetere Möglichkeit Inhalte von Computern generieren zu lassen, muss vermutlich nicht unser Verhältnis zur Geschichte verändern, sondern unser Verhältnis zu AI.
3.
Kim Kardashian ist in diesem Newsletter öfter mal Thema, weil sie sehr oft für Memes sorgt, beispielsweise als sie eine Privatgeburtstagsparty auf einer Insel während der Pandemie veranstaltet hat (mehr dazu findet sich in diesem Newsletter).
Nun hat Kim Kardashian irgendeine Kette von Prizessin Diana gekauft, für die sich zuvor niemand wirklich interessiert hat, die aber nun zu einem schönen kleinen Meme geführt hat, das ein wenig über die absurden Einkäufe der Superreichen spottet.
In eigener Sache:
In meiner FAS-Kolumne habe ich über Operationsroboter nachgedacht. Man kann mir übrigens Fragen stellen zu allen Themen, die mit Technik zu tun haben, dann beantworte ich sie bei Gelegenheit in der Kolumne. (Fragen könnt ihr an FragenSie@faz.de schicken, in den diversen sozialen Medien stellen oder direkt als Antwort auf diesen Newsletter schreiben.)
Seid ihr auch genervt von den unzähligen Reels und Clips, in denen irgendwelche Leute auf der Straße für Content angesprochen werden? Dann gefällt euch sicher dieses Video.
Ich glaube, dass eine der wichtigsten Formen von Literaturkritik in den sozialen Medien die Parodie ist. Daran wurde ich wieder erinnert, als dieser virale Tweet mit einem TikTok-Clip von 2020 nochmal in meiner Timeline auftauchte.
Mit diesem wunderschönen Kohlkopfvideo wünsche ich euch einen schönen Sonntag! Ihr findet mich auf Twitter, Mastodon, Instagram oder TikTok. Für längere Gespräche über AI, Tech, Bücher und das Schreiben ingesamt bin ich aktuell häufig im 54books-Discord zu finden und freue mich euch da zu treffen.