Über Hässlichkeit, Sexting und Dinosaurier
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Ich habe diesen Newsletter 2020 begonnen und seitdem habe ich eigentlich nicht mehr das Gefühl gehabt, dass die Dinge irgendwie zur Ruhe kommen würden. Jeder dieser Newsletter könnte immer wieder mit einem weiteren globalen, politischen oder sozialen Drama eingeleitet werden. Vielleicht liegt es auch daran, dass man in den sozialen Medien immer sehr nah dran ist an der Tagespolitik. Aktuell sind meine Timelines zumindest geballt voll mit Clips und Tweets zur Mobilmachung in Russland und mit Videoaufnahmen von den aktuell laufenden Protesten im Iran.
Deswegen möchte ich ganz am Anfang dieses Newsletters auf eine Frage hinweisen, die für unsere Gegenwart ganz zentral ist: Wie kommuniziert ihr, wenn das Internet ausfällt, abgestellt oder zensiert wird. Ich empfehle euch die BriarApp (Es gibt auch noch einige andere Alternativen, abhängig sollte die Auswahl vor allem davon sein, wieviel Sicherheit eure Kommunikation gegen Überwachung braucht). Außerdem ist es an der Zeit, dass mehr Menschen Snowflake in ihrem Browser installieren, um so anderen dabei zu helfen Zensur zu umgehen.
In other News: In einem Gefangenenaustausch sind zahlreiche ukrainische Soldaten nach mehreren Monaten Kriegsgefangenschaft befreit worden und viele haben sich direkt auf Twitter zu Wort gemeldet. Dazu gehört auch Dmytro ‘Orest’ Kozatsky – über den ich in diesem Newsletter geschrieben habe – und der sich in diesem Tweet freut wieder auf Twitter und wieder in der Ukraine zu sein.
1.
Der Account @ShockedAtShit teilt manchmal sehr nervige und oft Aufregung verursachende Tweets, die sich ohne Hinweis auf den Kontext auf historische Ereignisse beziehen. Damit ist der Account ziemlich erfolgreich. Zu dem etablierten Muster der Posts passt es auch, dass am 2. September der Tod der Königin verkündet wurde. Dieser Tweet sollte sich natürlich auf einen anderen Tod einer Königin in der Vergangenheit beziehen. Als dann sechs Tage später die Queen tatsächlich verstarb, wurde der initiale Tweet aufgrund seiner unfreiwilligen und ein bisschen unheimlichen Orakelhaftigkeit viel geteilt. Der Account reagierte so:
PS: Hier ist mein Lieblingstweet zur Beerdigung der Queen, die auf Twitter erwartungsgemäß lebhaft begleitet wurde.
2.
Ich habe eine tiefe Faszination für Fragewebsites im Internet. Mich interessiert der Auf- und Abstieg dieser Websites, warum manche Formate plötzlich aufhören beliebt zu sein (looking at you Yahoo Answers) und wie sich eigene Spielregeln auf ihnen entwickeln.
Subreddits wie r/AITA oder r/ relationships haben beispielsweise mittlerweile ganz eigene Erzählmuster etabliert, bei denen das performative Teilen und Diskutieren der Posts auf allen Social Media Plattformen und die potentielle Viralität miteingepreist werden muss – wie wir bei dem megaviralen Sexplaylist Reddit-Post von vor zwei Wochen sehen konnten, der nicht auf auf Twitter sondern auch auf TikTok für Aufmerksamkeit gesorgt hat.
Etwas Abseits von dieser Aufmerksamkeit liegt das Frageforum “Quora.” Dort finden sich jedoch als Fundstücke zwischen vielen Posts, ganz persönliche Fragen, auf die erstaunlich intim und interessant geantwortet wurde. Bei diesen Fragen bietet die Vielzahl von Antworten oft wirklich interessante und tiefe Einblicke in die menschliche Psyche. Man kann das beispielhaft erkennen, bei der Frage, wie es sich anfühlt ein hässlicher Teenager zu sein: Die oberste Antwort wurde fast 25.000 mal gesehen und schildert aus der anonymen Perspektive eines 12-jährigen Mädchens ihre Erfahrungen mit Hässlichkeit. Einige Jahre später fügt eine weitere junge Frau ihre eigenen Erfahrungen mit Hässlichkeit hinzu und möchte mit ihrem Kommentar dem Ganzen eine positive Wendung geben. Die Ehrlichkeit aber auch die Zugewandtheit bei der Vielfalt der Antworten, die sich über viele Jahre sammeln, ist erstaunlich. In diesem konkreten Fall lernt man beim Lesen einiges über unsere Obsession mit Schönheit und den toxischen Auswirkungen, die das auf die Psyche von vielen hat.
3.
Habt ihr in den letzten Tagen Tweets und Bilder mit den Sätzen: Holy fuck, Holy fucking fuck, That “xy” of yours is absurd” gesehen und euch vielleicht sogar gewundert, was es damit auf sich hat?
Das ganze Meme begann damit, dass einige ziemlich ungelenke Sexting-Versuche des Popstars Adam Lvine (Maroon 5, für diejenigen unter euch, denen der Name nix sagt) auf TikTok geleaked wurden. Und da diese Chat-Sequenzen so unfreiwillig komisch waren, sind sie nun zu einem ziemlich erfolgreichen Meme geworden – wir werden dann in Zukunft sehen, was das für Levines Karriere (und Ehe) bedeutet.
Typisch für Memes, gab es auch hier wieder den impliziten Wettbewerb soviele Layer wie möglich einzuziehen. Diese Form von memebasiertem Plattform-Humor ist irgendwann wirklich nur noch für Menschen verständlich, die auch die hunderste Meme- und Popkulturumdrehung mitgemacht haben. Der Tweet oben hat zumindest fast 190.000 Menschen zum faven motiviert und bezieht sich auf ein anderes erfolgreiches und schon recht altes Meme, nämlich dass die Schauspielerin Lea Michele (die auf dem Bild abgebildet ist) angeblich nicht lesen könne.
In eigener Sache:
Mit Axel Rahmlow habe ich im Deutschlandfunk Kultur über NAFO-Memes gesprochen. Hier ist außerdem der Link zu meinem FAS Text über die Plattform BeReal und Fragen nach Authentizität in den sozialen Medien.
Hier findet ihr einen guten Text zur Frage, wann Plattformen langweilig werden und was das mit kopiertem Content zu tun hat.
Ich habe gelernt, dass die meisten Clips besser werden, wenn Dinosaurier die Rolle von Menschen übernehmen. Ihr glaubt mir nicht? Dann schaut mal hier.
Außerdem gab es viele Likes und Retweets und darauf aufbauende Witze zu diesem Bild der GPS-Signale eines getrackten Hais, der mit seinen Bewegungen im Atlantik die Silhouette eines Hais gezeichnet hat.
Mit diesem guten Thread mit AI-generierten Bildern von “Social theorists as Jedi knights” wünsche ich euch einen guten und erholsamen Sonntag. Ihr findet ihr mich auf Twitter, Instagram oder TikTok – mittlerweile auch mit Kaninchencontent.
Hier – quasi direkt nach dem Abspann – beginnt nun ein Abschnitt speziell für meine Subscriber*innen. Ich habe beschlossen immer mal wieder im Newsletter exklusiv für meine Subscriber*innen einen kleinen Abschnitt über wiederkehrende Muster in TikTok-Videos und InstaReels zu schreiben, die mir auffallen. (Ich experimentiere noch mit dem Format, werde die Posts aber später vermutlich vollständig zugänglich machen.) Dieses Mal geht es um die faszinierende Winzigkeit von “tiny foods”: