Über Goldregenpfeifer, Klobowle und Sand
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Die letzte Woche hat sich mit Blick auf die Konjunkturen in meiner Timeline wie ein ganzer Monat angefühlt, von der Kanzlerkandidatinnenentscheidung der Grünen, zur Implosion der CDU in parteiinternen Grabenkämpfen, zur Super League im Fußball bis zur eigenwilligen Entscheidung zahlreicher deutschsprachiger Schauspieler*innen sich mit eigenwilligen Instagram-Videos und eigenem Hashtag in die Nähe der Querdenker-Bewegung zu begeben – es gab viele Anlässe, von denen einige Memes hervorgebracht haben. Gleichzeitig läuft die Pandemie weiter, auf Twitter versuchen zahlreiche Mitarbeiter*innen im Gesundheitssektor den Blick auf ihre sich stetig verschlimmernden Arbeitsbedingungen zu richten, aber im Gegenzug zu den Schauspieler*innen gibt es dafür weder Talkshow-Einladungen noch ein Gesprächsangebot von Gesundheitsminister Spahn. Wie gravierend und vielfältig die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft sind, wurde besonders in einem Twitter-Thread deutlich, in dem zahlreiche Unterrichtsentwürfe von Studierenden vorgestellt wurden, die sich ein Post-Corona Cover für den New Yorker ausdenken sollten und dabei die verschiedenste Aspekte der Krankheit in den Fokus nahmen.
1.
In den letzten Monaten habe ich immer mal wieder TikTok-Videos der Influencerin Yvonne Di Lauro gesehen, die auf Twitter mit spöttischen oder fassungslosen Kommentaren geteilt wurden, darunter beispielsweise ihre Frühstücks- und Badewannenvideos, die vor allem aus einer absurden Aneinanderreihung von Produkten bestehen. In den Videos sieht man eine Badewannne, die mit unzähligen Seifenprodukten gefüllt wird, dazu noch Duftkerzen und Blütenblätter oder Frühstückstabletts mit absurden Essensmengen, inklusive Bärchenwurst. Die Influencer-Ästhetik ist oft so übertrieben und wenig subtil in der Präsentation von Produkten, dass man manchmal nicht sicher ist, ob man gerade einer Satire aufsitzt.
Mit dieser Unsicherheit in der Bewertung spielen Koch-Videos, die sich durch maximale Absurdität und/oder Ekligkeit auszeichnen, beispielsweise dieses Nacho-Video. In der letzten Woche wurde ein Videoclip viral geteilt, in dem eine Frau aus lauter extrem künstlichen Süßigkeiten, bunter Eiscreme und Limonade in einer Kloschüssel eine Art Klobowle anrührt. Diese Form viraler Outrage-Videos in Influencer-Ästhetik ist ein ziemlich erfolgreiches Marketingtool, das von Facebook in die anderen Plattformen wandert und unter den viralen Posts immer mit Verkaufslinks verbunden wird. Ryan Broderick analysiert diesen Kreislauf in seinem aktuellen Newsletter sehr treffend:
“This, in my opinion, is the future of digital media. Everyone sharing the same viral bait, pretending to be outraged, and using it to sell weight-loss drugs and streamer lights.” (Ryan Broderick: “Eating ice cream out of a toilet for clout” 23.4.21)
Was bei dieser rein auf die Vermarktungslogik hyperviralen Contents fokussierten Erklärung jedoch nicht miteinbezogen wird, ist die Frage, warum gerade diese Videos so oft viral geteilt werden. In den aktuellen Videos zeigt sich eine Radikalisierung, des bereits von Formaten wie Tasty etablierten Konzepts, besonders absurde Rezepte zu präsentieren. Schon 2018 gab es eine Phase in der Kochvideos von besonders großen Gerichten, Mega Sushi-Rollen oder gigantischen Hamburgern, viral geteilt wurden. Das Phänomen ist also nicht neu, scheint sich aber zu verschärfen, das heißt, die Videos werden insgesamt immer ekliger und absurder. In einem Atlantic-Artikel aus dem Februar schreibt Amanda Mull über eklige Rezepttricks in Internetvideos und interviewed dafür auch die Philosophin Alexandra Plakias:
Plakias thinks that the best explanation lies not in our personal reactions to gross recipes, but in our social reactions. For many people, it isn’t enough that they watch, aghast. They also have to smash that RT, because disgust can function as a powerful identity marker—in this case, by helping people to define what they’re not. (Amanda Mull: “The Absurd Logic of Internet Recipe Hacks.” Atlantic, 5.2.21)
Mull problematisiert selbst, dass die Frage, ob diese Videos ernstgemeint sind oder nicht, zu Unsicherheit bei ihr führt. Die viralen Ekel-Kochclips und der Enthusiasmus mit dem sie geteilt und kommentiert werden, weisen daraufhin, dass in unserer Gegenwart kollektiver Ekel, in Form von mit “Ugghhh / Urgs / Igitt / Bwah / Barf / Kotz” kommentiertem Content, nicht nur eine soziale sondern auch eine entscheidende ästhetische Kategorie ist.
Zum Erfolg dieser Ekel-Inszenierungen gehört aber auch ganz entscheidend die epistemologische Verunsicherung der Rezipierenden, die sich nicht sicher sind, ob diese Videos ernst oder unernst gemeint sind, ob es sich um wirkliche Influencer-Kochtipps oder satirische Inszenierungen handelt. Das Teilen und Diskutieren des Contents verweist auch auf das Bedürfnis auf diese gegenwärtig grundsätzlich verunsichernden Fragen zum Realitätsgehalt geteilter Information eine Antwort zu finden.
2.
In der letzten Woche war noch das “Daddy Söder”-Meme überall zu sehen, parallel zur Entscheidung der CDU für Armin Laschet als Kanzlerinkandidaten begann dann in dieser Woche das “Laschet isst Sand”-Meme. Das Meme war so erfolgreich, dass zeitweilig Laschet und Sand gemeinsam in den Trends waren und ist ein ziemlich gutes Beispiel für den Einfluss von Shitposting im politischen Diskurs. Was genau Shitposting bedeutet, ist vage und umstritten und Versuche etablierter Medien es zu erklären, gehen regelmäßig ziemlich schief, weil den Shitposts entweder zuviel Relevanz zugesprochen wird oder sie in ihrer Wirkung unterschätzt werden.
Definitionen von Internetphänomenen, Einordnungen von viralem Content und Analysen von Verhaltensmustern in den sozialen Medien sind immer schwierig, weil die Phänomene flüchtig sind und man bei dem Versuch zu erklären und zu definieren rasch hinter die Geschwindigkeit des Internets zurückfällt. Ich versuche es in Bezug auf “Laschet isst Sand” trotzdem. Shitposts sind sozial-mediale Beiträge, die sich vor allem durch ihre Sinnfreiheit auszeichnen, aber als gut formulierter Unsinn trotzdem auf maximale Reaktion und Interaktion zählen. Shitposts sind nicht initial politisch oder als politischer Aktivismus gemeint, können aber, indem sie zu Memes werden, durchaus so wirksam sein.
Das “Laschet isst Sand”-Meme begann als Shitpost-Tweet mit der Aussage: “armin laschet redet so wenig weil er immer so viel sand isst” und wurde dann zum Meme, befeuert durch die Aufforderungen unter Tweets der CDU nach Laschets Sandkonsum zu fragen. Mit zunehmender Häufigkeit von Anspielungen auf Laschets Vorliebe für Sand begannen auch die vielen Tweets, in denen ironisch oder ernsthaft gefragt wurde, was es damit auf sich habe, was dann schlussendlich die beiden Begriffe in die Twitter-Trends beförderte. Immer mehr User*innen beteiligten sich in der typischen kreativen Überbietungslogik erfolgreicher Memes. Mittlerweile gibt es eine “Laschet Dinner Playlist” auf Spotify und einen eigenen Twitter-Account.
Die Anschlussfähigkeit des Memes erklärt sich auch dadurch, dass Laschet gerade zum Kanzlerinnenkandidat bestimmt worden und deswegen medial dauerpräsent war. Das Meme war so auch eine Möglichkeit war, darauf zu reagieren, indem ein prominenter Politiker durch das Meme zu einer lächerlichen Figur wird. Das funktioniert natürlich dann besonders gut, wenn die öffentliche Präsenz der jeweiligen Politiker*innen sowieso unfreiwillig komisch ist. Indem nun Laschet memetisch mit dem Essen von Sand verbunden ist, hat sich auch eine Möglichkeit aufgetan, Partei-Statements und Kandidatentweets in den sozialen Medien mit Drukos, die auf das Meme anspielen, entgleisen zu lassen und ins Unernste zu kippen. Auf diese Weise werden Memes, die aus Shitposts entstehen, dann doch politisch wirksam.
3.
Es gibt eine gute, nein eine sehr gute Nachricht: Im letzten Herbst kam es in den sozialen Medien zu einem wild geführten Wahlkampf in der Wahl zum deutschen Vogel des Jahres, ich schrieb in meinem allerersten Newsletter darüber. Schließlich wurde in einer Stichwahl das sehr langweilige Rotkehlchen gewählt, während tolle Vögel, wie der seine Gegner ankotzende Eissturmvogel, unbeachtet blieben. Eine sehr gute ironische Analyse dieses Wahlverhaltens fand sich auf Twitter von @derwahremawa, er schrieb: “Vogel des Jahres 2020 wird daher vermutlich die Blaumeise oder der Buntspecht. Das ornithologische Äquivalent zu 26 Comedypreisen für Anke Engelke und 12 Echos für Helene Fischer.”
Der Autor Saša Stanišić hatte auf Twitter und in den etablierten Medien intensiv für den Goldregenpfeiffer gekämpft, der es zwar bis in die Auswahl der letzten zehn schaffte, aber dann doch gewinnen konnte. Nun die gute Nachricht: Island hat den Goldregenpfeiffer zum Vogel des Jahres erklärt!
4.
Im Englisch-Abitur in Nordrhein-Westfalen wurde eine Kolumne des New York Times Kolumnisten Farhad Manjoo als Prüfungstext zur Auswahl gegeben und nun haben viele Prüflinge dem Autor Kommentare auf Instagram und Twitter hinterlassen. Er selbst teilte Screenshots dieser Kommentare amüsiert auf Twitter und interagiert dort auch mit den Schüler*innen, die eine große Bandbreite von Reaktionen aufzeigen. Das ist erstmal eine sehr schöne Anekdote, die zeigt, wie durch die sozialen Medien der Kontakt und Austausch mit ehemals kaum erreichbaren Menschen möglich ist. Natürlich sind unter den Kommentaren auch kritische und wütende Beiträge, die sich über einzelne schwierige Wörter beschweren, aber die Berichterstattung bei Spiegel Online über das Phänomen der kommentierenden Schüler*innen kann wirklich als Prototyp für tendenziöse Berichte über Internetphänomene angesehen werden. Die Schüler*innen werden dort als zorniger Mob dargestellt, der über den armen Autor herfällt: “Dass Manjoo die Abiprüfung nicht selbst organisiert hat und als Adressat für den Zorn nur bedingt taugt, wird von vielen offenbar übersehen.”
Sowohl bei Instagram als auch bei Twitter gibt es einige zornige an den Autor gerichtete Kommentare (die Wesentlichsten zitiert der Spiegel-Artikel). Mehrheitlich streiten die Schüler*innen aber über verfehlte Schulpolitik in der Pandemie oder ihre unterschiedlichen Bewertungen der Abituraufgabe. Die große Mehrheit der Interaktionen mit dem Autor selbst ist tatsächlich charmant und freundlich. Farhad Manjoo geht im Gegenzug auch auf die Schüler*innen ein, erklärt einzelne Wörter und lässt sich von ihnen erklären, was das Abitur ist. Kein Grund also hier einen Mob zorniger Schüler*innen zu imaginieren, die über einen Kolumnisten in den USA herfallen, sondern viel mehr Anlass moderne Kommunikationsmöglichkeiten zu feiern.
5.
Der Account @humanforscale teilt Tweets, in denen ein Mensch – genau wie es im Name schon beschrieben ist – als Maßstab für etwas anderes verwendet werden, beispielsweise für Riesenhornissen, Containerschiffe oder Fische.
Hier ist ein Clip der NASA mit einem wunderschön menschlichen Willkommen im Weltraum. Khaby.Lame reagiert auf seinem TikTok Account mit stoischem Pragmatismus auf andere Videos, besonders gerne auf Aufnahmen mit LifeHacks. Ich fand diese Animation aus 24 einzelnen Stickbildern sehr schön und würde einen ganzen Film aus animierten Stickereien sofort anschauen, stelle es mir jedoch in der Produktion sehr mühevoll vor. Apropos Animation: Was für eine schöne Idee, seine eigene Kinderzeichnung zu animieren.
Ich wünsche euch einen erholsamen Sonntag und einen guten Start in die Woche! Ein großer Dank an alle, die sich in der letzten Woche bei mir mit Hinweisen oder einer freundlichen Nachricht gemeldet, den Newsletter gefavt oder geteilt haben.
Wenn euch dieser Newsletter gefällt oder ihr Menschen kennt, die sich ebenfalls über eine sonntägliche eMail freuen würden, dann bin ich euch wie immer sehr für Weiterempfehlungen dankbar. Für den Rest der Woche findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram.