Über Croissant-Lampen, Aufräumaktionen und Musik
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Wenn man “The Golden Age of the Internet” googelt, dann bekommt man amüsanterweise viele verschiedene Jahreszahlen für die angeblich goldene Zeit des Netzes. Je nach Perspektive endete die gute Zeit des Internet als 1993 das Usenet immer mehr Nutzer*innen zugänglich gemacht wurde (Sidenote: daher kommt der Ausdruck “Eternal September”, auf den man manchmal online stößt.) oder sie begann genau an diesem Zeitpunkt. Das goldene Zeitalter startete für manche auch mit den sozialen Medien für wieder andere endete mit ihnen.
Was man aus diesem Wirrwarr erkennen kann: Die Nostalgie nach einer anderen medialen Landschaft oder dem früheren Zustand von Plattformen ist immer vom Standpunkt der jeweiligen Nutzer*innen abhängig. Ob man nostalgische Sehnsucht nach IRC oder Geocities hat, nach StudiVZ oder der frühen Blogsphäre, hängt erstens davon ab, wann man anfangen konnte das Internet bewusst zu nutzen und zweitens davon, dass man schon genug Zeit dort verbracht hat, um die permanente Veränderung der Dinge zu beobachten. (Da ein Internetjahr zehn Menschenjahren entspricht muss das gar nicht mal so lang sein).
Die sozialen Medien und allen voran Twitter befinden sich gerade in einer massiven Umbruchphase, was nicht nur an der lächerlichen Twitter-Akquise von Elon Musk liegt, sondern auch daran, dass durch den überraschenden Aufstieg von TikTok in den letzten Jahren aktuell alle anderen Plattformen versuchen auch auf Kurzvideo umzusteigen. (Sogar Spotify möchte jetzt ein Stück von dem Kuchen abhaben). Aktuell führt das auf Twitter vor allem dazu, dass sich die For You Page mit TikTok-Clips füllt, wie Ryan Broderick hier ausführlich analysiert hat.
Ich bin gespannt, wo wir in den nächsten Monaten landen werden und wie es mit Twitter weitergeht, denn gut sieht es nicht gerade aus, wenn man beispielsweise die absolut absurden Vorfälle der letzten Woche beobachtet hat, in denen Elon Musk massiv unprofessionell in den Konflikt mit einem isländischen Angestellten eingestiegen ist, der lustigerweise auf der Insel eine Art Heldenstatus hat. Angesichts der Unmengen an Mismanagement, Gigantomanie und Unsinn überraschen einen diese Dinge und auch die zahllosen Fehler und Glitches auf der Plattform mittlerweile jedoch nicht mehr besonders.
1.
Vor einer Weile habe ich sowohl über Meme-Food als auch über den supererfolgreichen Yotuber Mr. Beast geschrieben. Nun gab es ein Beispiel, das meiner Meinung nach sehr gut zeigt, wie stark die gerade reihenweise auf den Markt gedrückten Youtuber*innen-Produkte funktionieren. Klassische Logiken von Markenloyalität oder Kundenbindung werden unterlaufen, wenn die Internetpersönlichkeiten ihre Community über jahrelang aufgebaute parasoziale Beziehungen an ihre Produktpalette bindet.
Der Unterschied zu den schon lange existierenden Produkten, die von Prominenten oder klassischen Infleuncer*innen beworben werden, scheint mir zu sein, dass die Lebensmittel und Getränke ganz organisch in dem Content der erfolgreichen Youtuber*innen eingeknüpft werden. Denn das Geschäftsmodell dieser neuen Generation an Content-Producer*innen ist eben nicht sich über vielerlei in den eigenen Content integrierte Werbung für andere zu finanzieren, sondern wirklich nur die Waren der eigenen Marke anzupreisen, ob das nun Sportgetränke oder Snacks sind.
In Folge können die begeisterten Fans dann ihre Loyalität zeigen, indem sie die Produkte im Regal aufräumen (und im Fall von Mr. Beast hoffen sie dabei natürlich auch auf finanzielle Belohnungen). Von außen wirkt diese Dynamik dann leider brin bisschen wie ein Kult:
2.
Abstimmungen sind mittlerweile in den sozialen Medien das, was früher Buzzfeed-Quizzes waren: Man kann sich ihnen irgendwie nicht entziehen, nimmt widerwillig aber neugierig daran teil und fühlt sich danach ein wenig beschmutzt.
Aktuell läuft die Musik-WM auf Twitter, bei der über den besten Song der 2000er abgestimmt wird. Nicht nur ist die WM ein schöner Anlass um mal wieder wirklich sauer zu werden, sondern sie ist auch eine gute Gelegenheit den furchtbaren Musikgeschmack eurer Twitter-Kontakte kennenzulerenen. Mittlerweile sind die meisten guten Songs schon ausgeschieden. Man kann jetzt also zuschauen, wie schreckliche Lieder gewinnen und nebenbei analysieren, wie erfolgreiches Online-Engagement funktioniert. Man benötigt ein Thema, zu dem alle voneinander abweichende Meinung haben (Musik oder Lebensmittel eigenen sich dafür hervorragend), rührt eine dicke Prise Nostalgie mit hinein und gibt allen die Möglichkeit mit abzustimmen und schon kann man quasi dabei zusehen, wie sich der Content verbreitet. (Erinnert sich noch wer an die SchokoWars von 2019?)
Nun können wir vermutlich die Wochen zählen, bis irgendeine Marke auf den Zug aufspringt und uns über die besten 90er Snacks abstimmen lässt.
In eigener Sache:
Ich habe das neue Album von Miley Cyrus für Zeit Online rezensiert, passend zum Newsletter geht es neben der Liebe in unserer Gegenwart auch um die Bedingungen von Popmusik in Zeiten von TikTok.
Am 23. März erscheint mein Essay “Filter” in der Reihe Digitale Bildkulturen im Wagenbach Verlag. In dem Buch ist alles enthalten, was ihr schon immer über Katzenohren, Donut Skin, AI Bias, Gradient-Filter, Teal und Orange, Instagramface und TikTok-Filter wissen wolltet.
Hier ist ein guter Thread mit Anleitungen zum verifizieren von Bildern, denen man im Internet begegnet. Die meisten meiner Leser*innen benötigen diese Informationen vielleicht gar nicht, aber vielleicht ist das Thema etwas für den WhatsApp-Familienchat. Thematisch dazu passt dieses sehr gut gemachte und definitiv NSFW Deep Fake Video von Tucker Carlson. Ich bin immer froh, wenn sich DeepFake-Humor viral verbreitet, weil ich glaube, dass diese Videos das beste Medienkompetenz-Training sind.
Vielleicht braucht ihr für eure nächste Arbeitswoche eine “Classical Music for When You’re on a Deadline”-Playlist? Oder ihr hört einfach gleich eine Stunde Mittelalter-Eminem. Mit diesem viralen Croissant-Lampen Tweet wünsche ich euch einen schönen Sonntag. Ihr findet mich auf Twitter, Mastodon, Instagram oder TikTok. Für längere Gespräche über AI, Tech, Bücher und das Schreiben ingesamt bin ich aktuell häufig im 54books-Discord zu finden und freue mich euch da zu treffen.