Über Buchkauf, Spiegelungen und Starter Packs
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Zum ersten Mal seitdem ich vor zwei Jahren diesen Newsletter angefangen habe, kommt er nicht rechtzeitig zum sonntäglichen Morgenkaffee, aber vielleicht passend zum Sonntagskuchen. Ich hatte tatsächlich eine volle Woche – in Island sind die Sommerferien der Schulen elf Wochen lang, man betreuungsjongliert sich also so durch den Sommer – und habe es deswegen nicht geschafft. Ich hoffe ihr habt trotzdem eine anregende Frühstückslektüre gefunden und könnte den etwas verspäteten Newsletter nun genießen!
1.
Ich habe in diesem Newsletter im letzten Jahr schonmal über ein Format geschrieben, das ich sehr oft auf Twitter sehe: Mit einer Samlung von Bildern wird die textbasierte Aussage des Tweets visualisiert. Dazu passt auch das Muster der seit Jahren ziemlich beliebten “Starter Pack”-Tweets, bei denen mit den Bildern eine Art 1x1 für ein bestimmtes Thema gegeben wird, ein Einsteigerpack eben:
Besonders wenn man in unterschiedliche Twitter-Sprachen oder Subkulturen schaut, versteht man manchmal die Anspielungen dieser Starterpack-Tweets überhaupt nicht. Das Format benötigt ein recht großes gemeinsames Zeichenreservoir, um richtig gedeutet zu werden. Schaut doch mal in diese erfolgreichen Starterpack-Tweets und guckt, welche ihr versteht und welche nicht.
Der Account Strange Starter Packs (@strangepacks_) spielt seit Februar 2022 mit dem Format und hat mit dem Muster bereits knapp 200.000 Follower*innen gesammelt. Der Erfolg des Accounts liegt vermutlich auch daran, dass sich um viele der einzelnen Starterpacks loyale Stilgemeinschaften und Fan-Communities bilden, die sich mit dem bildlich dargestellten auf irgendeine Art identifizieren.
2.
Es gibt ein erfolgreiches Tweet-Format, das regelmäßig in Variationen auf Twitter die Runde macht und jedes Mal wieder Unmengen an Favs und Retweets einsammelt. In dem erfolgreichen Pattern geht es darum, dass das Lesen und das Kaufen von Büchern nicht miteinander zusammenhängen. Vielleicht erzeugen diese Tweets soviel Resonanz, weil sie für völlig unterschiedliche Meinungen anschlussfähig sind: augenzwinkernde Vielbuchkäufer*innen können ihn selbstironisch teilen, er kann aber genauso anti-intellektuelle Affekte bedienen oder sogar als das genaue Gegenteil, nämlich als intellektuelle Abgrenzung gegenüber Bücherstapeln, Book-Shelvies und ständigen Cover-Posts gedeutet werden.
Mittlerweile lädt dieses Muster auch zu ironischen Tweets, Verknüpfungen mit anderen Mustern und sonstigen Riffs ein, ist also zu einem Meme geworden. Man kann sogar soziale Experimente starten und schauen, auf wieviele Favs man kommt:
3.
Ich finde es interessant, wie Amazon aus den auf der Plattform veröffentlichten Reviews eine Tag-Cloud mit besonders häufig auftauchenden Wörtern erstellt. Diese Verschlagwortung bringt im Vergleich von Klassikern und Gegenwartsliteratur vermutlich ganz interessante Ergebnisse, weil bei den Klassikern recht häufig bestimmte Zitatfolgen auftauchen, während bei der Gegenwartsliteratur der Name der Autor*innen eine wichtige Rolle spielt:
4.
Nun, was soll man sagen: Der Twitter-Account People Selling Mirrors (@SellingAMirror) teilt regelmäßig Bilder von Spiegeln, die zu verkaufen sind und den Menschen, die beim Fotografieren dieser Spiegel auftauchen und das ist immer wieder erstaunlich komisch. Das Format funktioniert so gut, weil der Kampf der Verkäufer*innen mit der Spiegelung, die Versuche den Spiegel auszutricksen oder das Desinteresse an den Dingen, die der Spiegel offenbart, manchmal zu unfreiwilliger Komik führen und oft einfach wunderbar absurd sind.
Das Internet liebt Spiegelungen und das detaillierte Zoomen in Bilder, um Verborgenes oder Übersehens zu entdecken. Vielleicht ist das sogar einer der zentralen Sehmodi, mit dem Bildern in Timelines begegnet wird. Man sieht ja oft, dass ein Bild geteilt wird und es in den Replies dann den herangezoomten Bildauszug gibt (hier gibt es ein Beispiel).
In eigener Sache:
In meiner FAS-Kolumne habe ich auf die Frage geantwortet, was es mit dem Dino vor dem Googleplex auf sich hat und ob die Skulptur aktuell fossile Printmedien verhöhnt.
Das Team von 54books und unser digitales Feuilleton wurde von der Wochenzeitung portraitiert: “Hauptquartier der vierköpfigen Redaktion: das Netz.”
Hier gibt es ein gutes Video, das illustriert, dass ein trockener Boden weniger Wasser aufnehmen kann und hier ein tolles Time-lapse Video des Hafens von Amsterdam (und wer jetzt sofort den Chanson von Jacques Brel hören möchte, bitteschön!)
Vielleicht wollt ihr das RPG “Trapped in a Cabin with Lord Byron” spielen, ich werde das auf jeden Fall noch tun, nachdem ich ja sowieso schon davon träume mit Lord Byron über den Hellespont zu schwimmen (damit bin ich übrigens auch nicht alleine).
Mit diesem schönen Gedicht, das Wood Harrelson für ein kleines Baby geschrieben hat, das so aussieht wie er – das Internet kann ein schöner Ort sein–, wünsche ich euch einen guten Restsonntag. Ihr findet ihr mich in der nächsten Zeit – wie immer – auf Twitter, Instagram oder TikTok.