Über Stalaktiten, Tattoos und Dunkelheit
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Langsam wird es richtig kalt, was ich sehr liebe. Hier knapp unter dem Polarkreis wird es zusätzlich auch noch ganz schön dunkel – aktuell haben wir noch 7,5 Stunden Tageslicht, während es in Deutschland noch knapp 9,5 sind. Die hellen Phasen des Tages werden für alle auf der Nordhalbkugel jetzt kürzer und kürzer werden. Ab dem 1. November sind es 50 Tage, in denen es immer dunkler wird, bevor an der Wintersonnenwende am 21 Dezember der dunkelste Tag des Jahres bevorsteht. Im Februar wird es dann in etwa wieder so hell sein, wie wir es gerade Anfang November erleben – Es stehen uns also 100 dunkle und kalte Tage bevor. In diesem isländischen Tweet, der mir gut gefiel, wurde gesagt, dass man diese dunklen Tage – die von Menschen als unterschiedlich schwer empfunden werden – zum Anlass nehmen sollte, an die eigene psychische Gesundheit zu denken und sich umeinander zu sorgen.
Nun habe ich die ganze Zeit erfolglos überlegt, wie ich diese sehr gefühlige Einleitung mit einem grandiosen Tweet verknüpfe, der die lustigen Namen schottischer Schneepflüge auflistet, wie z.B. “I Want to Break Freeze”, und lasse den Gegensatz jetzt einfach so stehen, mögen die schottischen Schneepflüge euch durch diese dunkle Jahreszeit begleiten.
1.
Eines meiner allerliebsten Twitter-Rituale ist das jährliche Einläuten der Weihnachtssaison durch Mariah Carey, die am Tag nach Halloween einen Videoclip teilt, in dem sie Gruseldekoration zerstört oder entfernt und dann beginnt ihren Weihnachtsklassiker “All I Want for Christmas Is You” zu singen.
Ich habe angefangen zu schauen, seit wann Mariah Carey diese Tradition pflegt und sie hat erst 2018 damit angefangen am 1. November auf den Beginn der Weihnachtsliedsaison hinzuweisen – kann man dann schon von einer Tradition oder einem Ritual sprechen?! Für euch zum Vergnügen habe ich auch die Videoclips der zwei letzten Jahre herausgesucht: 2020 und 2019. Hoffentlich geht das jetzt noch lange so weiter!
2.
In einem Tweet hat einer der typischen jungliberalen Accounts darum gebeten, dass man mit drei Bildern zeigen solle, welchen Style man an Frauen schön finden würde. Die Antworten sind in weiten Teilen so langweilig wie vorhersehbar, aber die als satirische Reaktion auf den Tweet verfasste Reaktion mit sehr lustigen Antworten, wurde soweit geteilt, dass irgendwann der originale Kontext verlorenging. In der üblichen Überbeitungslogik haben sehr viele Menschen verschiedenste Variationen davon geteilt, welchen Style sie bei Männern schön finden.
Die User*innen auf Twitter (ich meine mich selbst natürlich mit) lieben es nämlich sehr, dies und das und sonst noch was mit einer festen Anzahl von Bildern zu charakterisieren. In der letzten Woche beispielsweise auch noch zum Thema Herkunft und Essen. Aus den gesammelten Tweets dazu könnte man einerseits eine schöne Kulturgeschichte regionalen Essens schreiben, außerdem eine Analyse sozialmedialen Humors und so einiges über Bildkommunikation.
3.
Erinnert ihr euch noch an diese frühen Facebook / StudiVZ-Wettkämpfe von vor über zehn Jahren, bei denen immer gefragt wurde: “Kann X mehr Favs bekommen als Y”? So wurde über eine Metrik aus Favs und Likes versucht eine Beliebtheitsskala zu erstellen, bei der dann beispielsweise irgendwann eine Brezel beliebter war als Justin Bieber. Das sind die ersten bewussten Spielereien mit der Logik von Favs und Likes an die ich mich erinnere.
Seitdem sind viele Jahre vergangen, aber noch immer sind Posts erfolgreich, die die angebliche Willkürlichkeit der Like-Dynamiken vor Augen führen oder eben das genaue Gegenteil belegen und diese angenommene Willkürlichkeit spielerisch ironisieren. Man ist sich bei diesen Tweets nie sicher, ob sie die Schlichtheit der Like-Metrik aufzeigen oder auf einem Meta-Level die Opposition dazu bilden.
Das schönste Beispiel dieser Spielereien ist in der letzten Woche auf Twitter entstanden, als der Account @PyroKlose sich über einen Tweet amüsierte, der für einen recht schlichten Witz über 12.000 Likes eingesammelt hatte und einen Screenshot dieses Tweet nur mit “12k” kommentierte. In nachfolgenden Tweets wurde immer wieder ein Screenshot geteilt, wenn die 1000-Fav Marke erreicht wurde. Entstanden ist das schönste Mise en Abyme sozialer Metrik, das ich bis jetzt gesehen habe.
4.
Das neurale Netzwerk ResNeXt klassifiziert Bildinhalte ziemlich erfolgreich und weil Bildklassifizierungen immer Spaß machen, lässt der “Neural Net guesses Memes”-Bot @ResNeXtGuesser Meme-Bilder klassifizieren und teilt die Resultate. Manche der Posts sind ein gutes Beispiel für die vielen Bedeutungslayer bei Memes, die natürlich von der AI überhaupt nicht gegriffen werden können, eine Art Meme-Turing-Test.
Dieses Bild durchgeschnittener Stalaktiten, die aussehen wie Knochen oder Schinken oder anderes organisches Material, hat mich in der letzten Woche beeindruckt. Auf keinen Fall sollte man dieses Twitter-Ereignis verpassen, bei dem ein Fan sich beschwert, dass ihr neues Songtitel-Tattoo “See You In In The Future” falsch geschrieben wurde, woraufhin die Band Waterparks einfach das Lied umbenennt.
In der Woche nach Halloween werden auf Twitter oft mit großer Resonanz japanische Kostüme geteilt, die besonders deswegen komisch wirken, weil sie so alltägliche Normcore-Situationen zeigen, dass sie erklärungsbedürftig sind, z.B. “Der Kassierer, der zur Seite schaut, während du die PIN eingibst.” Auch in diesem Jahr gab es wieder einen langen Thread mit Beispielen.
Mit diesem unglaublich komischen TikTok-Video einer jungen Frau, die eine SMS ihres Ex-Freundes begleitet von einer sehr traurigen Violine vorliest, wünsche ich euch ein schönes Wochenende. Ein großer Dank gilt all den Menschen, die sich in der letzten Woche mit Hinweisen und Ideen für diesen Newsletter bei mir gemeldet haben – ihr seid super!
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