Über blauen Honig, Männermode und ein Affenpasswort
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Die Aufbruchstimmung ist spürbar, in Kombination mit dem Sommeranfang, den sinkenden Fallzahlen und den vielen Tweets mit ersten Besuchen in der “Außengastronomie” scheint das Ende der Pandemie plötzlich immer greifbarer. In der letzten Woche ging dazu passend ein Tweet viral, in dem stand: “so we’re just powering through hot drunk trainwreck summer without processing all the grief, I love this for us it’s like Hemingway going to the French Riviera after WWI” – die Kommentare zu dem Tweet sind sehr lesenswert, ein Kaleidoskop aus Schmerz, Trauer und Verdrängung.
1.
Wieso ist der Honig in diesen Bienenwaben blau und grün? Ein Tweet erzählt von dieser mysteriösen Frage, die 2012 französische Imker umgetrieben hat. Grund für die Färbung war laut Tweet ein Besuch der Bienen in einer benachbarten M&M-Fabrik. Es ist eine sehr gute Geschichte, Bienen sind sowieso beliebte Tiere in den sozialen Medien, dazu ein interessantes Bild von bunten Waben und ein inspirierender Satz in Wandtattoo-Qualität am Ende: “Sometimes the answer is really simple, you just can't imagine it.”
Der Tweet wird viral geteilt, beinahe 3000 mal retweetet und über 11.000 mal gefavt. Leider ist die Geschichte in dieser Form nicht wahr, in einem Druko wird mit Link auf einen Zeitungsartikel darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine M&M-Fabrik gehandelt habe, sondern um eine Entsorgungsanlage in der Biogas aus Lebensmittelabfall produziert wird und die auch Reste aus der M&M Produktion gelagert habe. (Ein deutschsprachiger Artikel von 2012 findet sich hier.) Mit diesem Hinweis klingt die Geschichte gleich viel weniger inspirierend, keine süßen Bienen auf Ausflug in eine Schokoladenfabrik, sondern eine schlecht geführte Anlage mit potentiellem Umweltrisiko.
Eine lustige Zeitungsgeschichte erscheint neun Jahre später als inspirierender Wiedergänger in den sozialen Medien und wird kritiklos geteilt. Was nun eine gute Einstiegsanekdote für einen händeringenden Beitrag zum Kulturverfall, Fake News etc. wäre, ist hier aber anders gedacht: Mich interessiert an diesem Beispiel, wie auch an einigen anderen aus der letzten Woche, wie rasch die inhaltliche Idealisierung aufgegriffen und durch einen Kommentar darauf hingewiesen wird.
Ein anderer ähnlich liegender Fall ist ein Screenshot aus einem angeblichen Eric Carle Interview, der in der letzten Woche kursierte, aber offensichtlich eine aus dem Kontext gerissene Satire war. Ein ausführlicher und sehr gut recherchierter Thread weist auf das Problem des falschen Zitates hin, das es in zahlreiche Medienbeiträge geschafft hat.
Offensichtlich gibt es ein Problem mit der Abgrenzung von Fakt und Fiktion, von Lüge und Fälschung, das durch die Geschwindigkeit der sozialen Medien verstärkt wird. Obwohl die korrigierenden Hinweise und Einordnungen oft sehr zeitnah erfolgen, ist die falsche Information ersteinmal in der Welt und zirkuliert dort. Das hat sich beispielsweise auch sehr deutlich bei den vielen Hoax-Todesmeldungen gezeigt, die immer wieder auf Twitter kursieren. Es bedarf also einer gesteigerten Medienkompetenz mit großer Skepsis und Vorsicht, um sich durch eine Informationslage zu bewegen, in der eben auch das Spiel mit dem Wahrheitsgehalt von Informationen, mit Ironie, Shit-Posting und Trolling ein zentrales Merkmal ist. Ein gutes Beispiel für dieses Problem ist beispielsweise auch das Lieferando-Trolling über das ich im Newsletter der letzten Woche geschrieben habe.
Vielleicht ist ein Eindeutigkeits-Bedürfnis für Informationen in den sozialen Medien aber sowieso hinfällig, ein an Paradigmen anderer medialer Bedingungen gemessenes Verständnis in Bezug auf die Notwendigkeit inhaltlicher Korrektheit? Ich habe mich beispielsweise bei diesen Tweets, in denen ein Account konservative Politiker und Medienfiguren in den USA dazu bringt ein Bild seines angeblichen Veteranen-Großvaters zu retweeten (bei dem Bild handelt es sich ironischerweise aber um den Mörder Lee Harvey Oswald) gefragt, ob es für die Zielgruppe eigentlich egal ist, wessen Bild als besonders patriotisch retweetet wird. Ob also die Entlarvungsbemühungen, die den hohlen und inhaltlich nicht reflektierten Patriotismus und die fehlende mediale Kompetenz bestimmter Accounts aufzeigen wollen, nicht ins Leere laufen, weil das angesprochen Publikum nicht die faktische Korrektheit der Information (“Wer ist der geteilte Veteran auf dem Foto?”) interessiert, sondern das vermittelte Gefühl (“Wir wertschätzen Veteranen!”).
Bei einer solchen Deutung, wäre das entscheidende an dem viralen Bienentweet vom Anfang nicht die Korrektheit der Herkunft der Farbstoffe, sondern dier inspirierende Inhalt des letzten Satzes: “Sometimes the answer is really simple, you just can't imagine it.”
2.
Twitter-Accounts jungliberaler Männer versuchen sich oft mit besonders polarisierenden Takes, um damit auf Twitter Resonanz und im besten Fall Aufmerksamkeit bestimmter Medienmenschen zu bekommen. Das ist alles sehr vorhersehbar und deswegen ist es besser, wenn man diese Versuche ignoriert und ihnen keine Beachtung beschenkt. Manchmal entsteht aber aus besonders verzweifelten Rufen nach Aufmerksamkeit ein schönes Meme.
In der letzten Woche teilte ein solcher Account zwei Bilder nebeneinander: eine Modeillustration aus der Mitte des letzten Jahrhunderts und ein aktuelles Foto eines jungen Menschen mit Bart in einem schönen Blumenkleid, dazu die Aussage: “Ja, ich finde das erste Kleidungsideal für Männer wesentlich gesünder und erstrebenswerter für unsere Gesellschaft, als das zweite.”
Das aus diesem Tweet resultierende Meme spielte dann mit eben diesem Muster: zwei Bilder, eins davon die Modeillustration aus dem initialen Tweet, in Kombination mit dem kopierten Textbaustein.
3.
Aktuell gab es eine Friends-Reunion, vermutlich weil mit einer Verzögerung von 25 bis 30 Jahren audio-visuelle Produkte oft wieder neuaufgelegt oder anders herausgebracht werden, um den Nostalgiewunsch von Menschen rund um die 40 nach den Formaten ihrer frühen Jugend zu befriedigen.
Eine Aufnahme des gealterten Matt LeBlanc, der in der Serie die Figur “Joey Tribbiani” spielt, wurde rasch unter dem Hashtag #IrishJoey zum Meme, weil die Körperhaltung und Lebenszufriedenheit, die LeBlanc mit verschränkten Armen ausstrahlt viele (irischen) User*innen an stereotype Onkelfiguren erinnert zu haben scheint.
4.
Der Twitter-Bot @CityDescriber lässt die Bilderkennungs AI von Microsoft Bilder aus Reddit klassifizieren und das ist immer dann am Schönsten, wenn die Bild-Text-Schere besonders weit auseinanderklafft. In genau diesen Lücken, wenn man beim Betrachten versucht die Perspektive der AI einzunehmen, herauszufinden, wie sich die eigentlich falsche Klassifizierung begründet, entsteht ein spannender Bildwahrnehmungsmodus, bei dem man sich selbst als AI imaginiert.
Viele Affen bilden gemeinsam ein starkes Passwort, wie dieser Tweet zeigt. Auf die Frage, was der seltsamste Ort war, an dem man jemals war, gibt es hier sehr sehr viele Antworten und manche haben soviele seltsame Orte gesehen (Neid!), dass sie einen ganzen Thread mit wunderschönen Fotos draus machen können. Vorsicht: Der Thread ist eine Art Brandbeschleuniger für Fernweh!
Auf TikTok hat eine Enkelin ihre Omi gebeten, ihr das Bild in ihrem Medaillon zu zeigen und es war überraschenderweise das Foto eines Affen darin. Inspiriert davon hat eine andere Twitter-Nutzerin das Medaillon ihrer Oma geöffnet und was dort enthalten war, wird euch erstaunen... (ein Hundebild und ein Katzenbild). Ich bin milde gespannt, ob jetzt noch mehr guter Medaillon-Content in meiner Timeline auftauchen wird.
Mit diesem lustigen Parodie-Thread zu Werken der Weltliteratur wünsche ich euch einen erholsamen Sonntag und einen guten Start in die Woche! Danke für alle die guten Hinweise und freundlichen Nachrichten der letzten Woche und insgesamt für die freundliche Resonanz, die dieser Newsletter jeden Sonntag bekommt.
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