Über Aquarien, Zauberer und AI Bilderbücher
Herzlich Willkommen zur 85. Ausgabe dieses Newsletters und der letzten Ausgabe im Jahr 2023!
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Dies ist schon der dritte Jahresend-Newsletter, den ich verschicke und ich habe das zum Anlass genommen, mir nochmal die Newsletter von 2020 und 2021 anzuschauen. Das Schöne daran regelmäßig und ganz frei die eigenen Gedanken zum Alltag in den Timelines aufzuschreiben, ist das kleine beinahe tagebuchartige Archiv, was dabei entstanden ist. Ich schaue Ende 2022 mit einem anderen Blick auf meine Social Media Feeds als noch 2020 – ein Menschenjahr entspricht hundert Timeline-Jahren.
Wie sehr sich die Konjunkturen aktuell ändern habe ich gemerkt, als ich meinen im Januar 2022 geschriebenen Newsletter zum Twitter-Account @ElonJet angeschaut habe. Damals hatte Musk dem Betreiber Jack Sweeney 5000$ geboten, um den Account offline zu nehmen. Ein ganzes Jahr und 44 Milliarden Dollar Kaufpreis später gehört Elon Musk die Plattform und er hat den Account (und die Accounts zahlreicher Journalist*innen, die kritisch berichtet haben) suspendiert und damit eine weitere Runde der Twitter-Verschrottung eingeleitet.
1.
In Berlin ist der AquaDom geplatzt und nun wird vermutlich niemals wieder jemand entspannt in einem dieser Tunnelaquarien stehen können. Neben diesem nachhaltigen Einfluss auf unser Vertrauen in Aquariumglas und dem wirklich traurigen Verlust von 1500 Meerestieren, hat das kaputte Riesenaquarium auch viele Memes nach sich gezogen. Das liegt vermutlich an dem guten Bildmaterial – Vorher- und Nachher-Bilder des AquaDoms lassen sich perfekt gegenüberstellen – und daran, dass die unglaubliche Zerstörung des Aquariums keine Menschenleben gekostet hat.
Die unvermittelte Zerstörung eines als sicher wahrgenommenen großen Aquariums lässt sich natürlich auch perfekt als Metapher für unsere Gegenwart instrumentalisieren, was ebenfalls sofort parodiert wurde. Besonders lustig war aber dieser Photshop-Witz (sogar mit Verweis darauf, dass das ein Witz ist) zu dem die Polizei Berlin später ein Dementi veröffentlichte.
2.
Ich schaue immer mal wieder in Snapchat-Serien rein – Snapchat produziert schon seit 2016 Original Content– , seitdem ich irgendwann mal während einer Prokrastinationsphase bei einer Barbie Makeover-Serie hängen geblieben bin. (Ich kann die Serie sehr empfehlen, irgendwas an den verbesserten Barbies und dem Mikro-Puppen-Make Up ist extrem zufriedenstellend).
Sehr lachen musste ich dann, als ich die Taste Time!-Serie gesehen habe, die mich stark an diesen optimierten Facebook Content erinnert, bei dem eine Gruppe von ehemaligen Zauberern aus Las Vegas absolut absurde Videos produziert, die dann viral quer über die Plattformen wandern. (Wie beliebt dieser Ekel- oder Outrage-Content ist, zeigt sich auch daran, dass mein Klobowle-Newsletter, in dem ich mal darüber schrieb, unglaublich viel geklickt wurde). Wer sich genauer anschauen möchte, wie diese absurden auf Viralität optimierten Videos aussehen, wird bei den Kyle und Mistie Cooking-Videos auf Facebook fündig.
Ryan Broderick hat über diese Form der viralen Content-Produktion unter Führung des Ex-Magiers Rick Lax geschrieben, dass hier vielleicht eine amerikanische Variante von Mukbang – dem südkoreanischen Essvideotrend – entsteht. Die Snapchat-Serie aus dem November folgt eben diesem Muster völlig absurde Kochszenarien mit merkwürdig enthusiastischen Dialogen zu kommentieren.
Ich hab mir die Folge angeschaut, in der aus Pfefferminzbonobons eine Schale geschmolzen wird, die dann mit Popcorn gefüllt wird – angeblich eine weihnachtliche Leckerei, in der Realität ein absurd eklig aussehendes Machwerk, das vermutlich wieder zu viralem Erfolg führen wird. Irgendwie entwickelt das Video dennoch eine beinahe hypnotische Wirkung, als würde man einem Unfall zuschauen. Die Ästhetik, die aus dem enthusiastischen Kommentar in Verbindung mit der absurden Handlung entsteht, scheint mir eine ganz eigene Form von postdigitalem Surrealismus zu sein, dessen Wirkweise ich noch nicht völlig verstanden habe.
3.
Das Jahr 2022, in dem die Generierung von Bild und Text in den Mainstream schwappte und dort für viel Freude, Kritik und Entsetzen sorgte, endete mit sehr vielen ChatGPT-Screenshots in den Tiemlines. Weil ich Literatur manchmal auch ganz interessant finde, wollte ich in diesem letzten Newsletter des Jahres zumindest zwei Beispiele zeigen, in denen AI und der Buchmarkt zusammengeführt wurden.
Das erste ist dieses mit AI generierte Buchcover, dessen Entstehungsprozess im zugehörigen Reddit-Post detailliert geschildert wird. Ich denke übrigens nicht, dass die Bildgenerierung hier die Designer*innen ersetzen wird, aber ich kann mir vorstellen, dass im Prozess der initialen Buchcover-Diskussionen die AIs zusätzliche Anregungen liefern könnten. Aus Spaß habe ich dann bei Stable Diffusion ein Cover für Britney Spears generieren lassen und mich über das Resultat sehr gefreut:
Nun zum zweiten interessanten AI-Buchmarkt-Crossover: Anfang Dezember hat Ammaar Reshi mit ChatGPT und Midjourney gespielt, damit ein Bilderbuch produziert und den Prozess detailliert auf Twitter geschildert. In den Kommentaren gab es schon viel gute und weniger gute Kritik. Ich habe den Verdacht, dass sich gerade in der Kritik des generierten Werkes sehr viel deutlicher herauskristallisiert, welche Funktion Kinderliteratur eigentlich hat. Interessant ist das Ganze auf jeden Fall. Hier beispielsweise die Kritik einer der für das Bilderbuch generierten Illustrationen:
In eigener Sache:
Ich habe im Deutschlandfunk Kultur in der Sendung Breitband einen Jahresrückblick über Trends und Entwicklungen auf den Social Media Plattformen gemacht. Wer also wissen möchte, was ich für 2023 prophezeie, wieso Memes entscheidend für die Dynamik einer Plattform sind und was eigentlich mit Facebook los ist, kann da mal reinhören.
In meiner Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung habe ich über die Frage nachgedacht, ob die EU ein Metaverse braucht und wie eigentlich virtuelle Räume aussehen müssen, in denen wir uns gerne aufhalten.
Im nächsten Frühjahr erscheint mein Buch “Filter” in der Reihe Digitale Bildkulturen im Wagenbach Verlag, die von Wolfgang Ullrich und Annekathrin Kohout herausgegeben wird (man kann es jetzt schon vorbestellen). Es wird darum gehen, wie Filter das Internet verändert haben, um Filter als kulturelle Praxis und am Ende des Buches geht es auch um AI-Filter und die vielen technischen Entwicklungen, die gerade am Horizont stehen. (In diesem FAZ Artikel von Johanna Schwanitz über die Lensa-App wird aus dem Buch schon vorab zitiert.)
Mit dem Prompt “Das wichtigste Bild, das je von einem Menschen gesehen wurde” wurde dieses Bild generiert. Ich bin ja der Meinung, dass jede neue Technologie sofort magisches Denken inspiriert und vielleicht sind Bild- und Text-Generierungen mit AI die Orakel der Gegenwart.
Eine wirkliche schöne Elon Musk-Trollerei findet ihr hier – zumindest im Spott findet die Plattform wieder zusammen. Manche Memes kehren immer wieder, dazu gehören Ohio-Memes (die gerade auf TikTok rauf und runter zirkulieren) und natürlich auch die wiederkehrenden Statusmeldungen, in denen Menschen Poduschen für sich entdecken.
Mit diesem viralen TikTok-Video mit Weihnachtsstimmung wünsche ich euch einen schönen Dezembersonntag. Allen, die es feiern, wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest mit viel Schnee und gutem Essen. Allen anderen wünsche ich wirklich erholsame Ruhetage. Wir hören im neuen Jahr voneinander, habt Dank für die vielen tollen Rückmeldungen in 2022. Zumindest eins ist sicher: Das Internet bleibt aufregend!
Wer wissen will, wie Reykjavík im Schnee versinkt oder hin und wieder etwas von mir hören will, findet mich weiterhin auf Twitter, Mastodon, Instagram oder TikTok. Für längere Gespräche über AI, Tech, Bücher und Memes verschwinde ich jedoch immer häufiger in den 54books-Discord und freue mich euch da zu treffen.