Über einen Weihnachtspinguin, einen Buchcoverkompass und nackte Hintern im Museum
Wir befinden uns vermutlich vor dem nächsten großen Lockdown und die Diskussionen über den richtigen Umgang mit der Pandemie, die absurden Menschenmengen im Weihnachtsgeschäft und die möglichen Auswirkungen eines weiteren harten Lockdowns prägten die letzte Woche auf Social Media. Immer wieder las ich auch von Verzweiflung angesichts der unglaublich hohen Totenzahlen und Wut über die abgestumpfte Normalität, mit der diesen Zahlen begegnet wird. Wie kann man in den sozialen Medien angemessen Gedenken und dabei dazu beitragen, dass reale menschliche Tragödien nicht in abstrakten Fallzahlen untergehen?
1.
Die Festtage sehen aufgrund der Pandemie in diesem Jahr anders aus als sonst und ich bin gespannt, wie die christlichen Kirchen auf die Beschränkungen reagieren und welche digitalen Angebote zum Weihnachtsfest präsentiert werden. Bereits im Mai stieß ich auf diesen Zoom-Segen (“A Blessing For A Meeting on Zoom”), den ich sehr interessant fand, weil er sich so deutlich auf neue mediale Bedingungen einlässt. Dabei wird auch auf das Winken am Ende des Videochats eingegangen, über das ich bereits in einem Newsletter geschrieben habe.
2.
Taylor Swift hat in dieser Woche ein neues Album herausgebracht und dies ist ein guter Anlass, um auf eine Variante eines meiner Lieblingsmemes “Berühmtheiten als Dinge” hinzuweisen. Bei dem Meme werden prominente Menschen aufgrund der Farbigkeit ihrer Kleidung Objekten mit gleicher Farbe gegenübergestellt – je absurder die Vergleiche, desto besser. So kann man Tom Hiddleston mit Macarons vergleichen, Beyoncé mit SpongeBob, Angela Lansbury mit Teekannen oder Kate Bush mit Quality Street. Es gibt übrigens auch einen Thread, der Taylor Swift mit Physikbüchern vergleicht.
Die Threads sind teilweise ausgesprochen liebevoll recherchiert und oft sehr umfangreich. Mit diesem Meme hat sich also ein ästhetisches Phänomen entwickelt, das auf dem geschärften Blick für die Farbigkeit von Dingen beruht, die spielerisch verbunden werden und aus der Absurdität dieser Verbindung einen gesteigerten Wert ziehen. Dieses spezifische Meme passt zu René Magrittes Überlegungen zur surrealistischen Programmatik:
“Da meine Absicht feststand, die vertrautesten Gegenstände wenn möglich aufheulen zu lassen, mußte die Ordnung, in die man die Gegenstände im Allgemeinen bringt, natürlich umgestürzt werden” (Evelyn Benesch (Hg.): René Magritte. Der Schlüssel der Träume. Gent, 2005. S. 34)
3.
In dieser Woche wurde in Großbritannien mit dem Impfen gegen Covid19 begonnen. Die mit dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer Erstgeimpfte war die 90-jährige Margaret Keenan. Zu ihrer Impfung in Coventry trug sie ein sehr auffällig leuchtend blaues T-Shirt mit Weihnachtspinguin drauf, das perfekt mit ihren rotgefärbten Haaren harmonierte und sich hervorragend dafür eignete in den sozialen Medien weitläufig geteilt zu werden. Das T-Shirt ist Teil einer Spendenkampagne und die Verkäufe haben sich mittlerweile stark erhöht.
Pünktlich zur ersten Impfung zirkulierten auch wieder zahlreiche “Bill Gates und die Covidimpfung”-Memes, die sich über Verschwörungstheorien lustig machen, nach denen Bill Gates mit der Impfung Chips in die Bevölkerung einpflanzen möchte. Dabei wird auch Clippy wieder verwendet, die hilfreiche Büroklammer aus früheren MS Office Versionen, die selbst zum Meme geworden ist.
4.
Seit dem 10. Dezember wird Chanukka gefeiert und der Autor Max Czollek hat gemeinsam mit anderen ein digitales Special dafür zusammengestellt.
5.
Immer mal wieder schreiben sehr junge Menschen (mit familiären Netzwerken in den Kulturbetrieb) einen Roman und die Kritik freut sich unbändig, weil es so toll ist, dass diese jungen Menschen sich noch für Literatur interessieren, dass sich ihr Genie so früh manifestiert. Thomas Steinfeld beschreibt diese Rezeption in seinem Verriss zu Helene Hegmanns Axolotl Roadkill als “die Leidenschaft der Leser (und der Kritik) für die jugendliche Gottheit: Nicht einmal volljährig sein, und doch ein künstlerisches Meisterwerk schaffen zu können, an der Tradition vorbei - das wäre was?” Die Begeisterung für diese Werke sehr junger Menschen hat somit vermutlich einiges zu tun mit den Projektionsbedürfnissen der Rezipierenden: Literatur ist jung und dynamisch, das Neue ist immer noch möglich.
Eine dieser Freude älterer Menschen über junge Literat*innen ähnliche Projektion ist die Begeisterung in den sozialen Medien, wenn ältere Menschen sich dort Accounts einrichten. Der ungebremste Enthusiasmus, wenn ein vermeintlich pensionierter Lehrer Computerspiele ausprobieren möchte (ein Account, der sich später als Projekt des Autors Juan Guse herausstellte) oder ein älterer Herr seinen Twitteraccount eröffnet, ist zunächst verwirrend, verweist aber vielleicht auf die Sehnsucht der Social Media Nutzer*innen sich das eigene Alter als Zeit ungebremster Neugier zu imaginieren. Es könnte auch einfach ein Bedürfnis, ältere Menschen für ihre Offenheit mit Anerkennung zu überschütten, der Resonanz zugrunde liegen. Ein wenig gönnerhaft wirken sowohl der Überschwang in Bezug auf die Werke junger Autor*innen als auch der Enthusiasmus für die coolen Social Media Alten.
6.
Ich mag grundsätzlich Meme-Formate, bei denen vier Bilder angeordnet werden, um Bedeutung zu erzeugen. Mit diesen symbolischen Anordnungen kann man beispielsweise sich selbst charakterisieren. In dieser Woche zirkulierte ein Meme, bei dem mit vier Buchcovern ein politischer Kompass nach Bryson und McDill gebaut wurde.
In dieser Darstellung wird das politische Spektrum abgebildet, indem die Y-Achse von Libertarismus zu Autoritarismus führt, während die X-Achse, das politische Spektrum von Links nach Rechts darstellen soll. Die Sortierung der Cover ordnet die Bücher also bestimmten politischen Positionen zu und ist eine ziemlich interessante spielerische Auseinandersetzung mit den Buchinhalten.
7.
Der empfohlene Twitter-Account ist für diese Woche ist @Stefans_KW. Aus unzähligen 3D-gedruckten Einzelteilen wurde ein Vogelhaus zusammengesetzt, das mit einer Kamera ausgestattet ist, die besuchende Vögel filmt und diese Videos werden geteilt. Es gibt sogar eine Weihnachtsdekoration des Hauses mit leuchtendem Kamin. Schaut euch das unbedingt an!
Ich wünsche euch noch einen schönen Sonntag und eine gute Woche. Am nächsten Sonntag werde ich noch einmal einen etwas kürzeren Newsletter schreiben und dann gehe ich in die Weihnachtspause. Es macht mir weiterhin große Freude diesen Newsletter zu verfassen und ich freue mich auch über den Enthusiasmus, mit dem er gelesen, geteilt und kommentiert wird. Bis dahin gebe ich euch hier noch einen Link zu einem weiteren spannenden Twitteraccount mit dem vielsagenden Namen “@MuseumBums”, über den Christina Dongowski schreibt: “Social Media eröffnet einfach Möglichkeiten der Kommunikation mit & über Kunst, da muss das professionelle Sprechen & Denken drüber erst mal hinter kommen.”
Wie immer gilt: Wenn der Newsletter im Spamfilter hängen geblieben ist, dann könnt ihr den Absender zu eurem Adressbuch hinzufügen.
Wenn euch der Newsletter gefällt, freue ich mich über Weiterempfehlungen. Der Newsletter kann mit diesem Link geteilt werden: Phoneurie. Ihr findet mich außerdem auf Twitter und auf Instagram. Ich wünsche euch eine gute Woche!