Über die Händes des Papstes, Sturmvorbereitung und grünen Porno
Ein Strandspaziergang ist immer anders, wenn man einen Sandeimer dabei hat. Schon das Bewusstsein um ein Gefäß, das den Stauraum der Hosen- und Jackentaschen erheblich erweitert, sorgt dafür, dass man die Dinge anders betrachtet. Man steckt nicht nur kleines Seeglas oder winzige Steine ein, sondern zieht plötzlich auch den großen Flintstein mit Loch oder das abgeschliffene Stück Holz zur Mitnahme in Erwägung. Ungefähr so sah meine letzte Online-Woche für mich aus, als ich mit dem Wissen um diesen Newsletter eine sehr lange Liste mit Ideen angelegt habe, aus denen ich jetzt leider nur ein paar Dinge herauspicken kann.
1.
Anfang dieser Woche konnte man kaum in die Twitter-Timeline schauen ohne auf das “How it started. How it's going (manchmal auch How it’s ended)”-Meme zu stoßen. Das Meme startete bereits Ende September, es gibt also schon bereits einen eigenen “Know Your meme”-Eintrag. Es erreichte aber nun im Oktober noch weitere Verbreitung. Neben unzähligen Tweets mit passend visualisierten Gegenüberstellungen von damals und heute, die mehrheitliche Tendenz dabei eindeutig einem Verfallsnarrativ folgend, gab es auch viele Tweets in denen mit dem Meme-Format biographisches erzählt wurde, beispielsweise von der ersten Textnachrichten zum Heiratsantrag. Die Möglichkeit den Aufbau des Memes politisch für eine demaskierende Gegenüberstellung zu nutzen und auch die Möglichkeit zur Parodie, indem beispielsweise eine Stagnation der Entwicklung aufgezeigt wurde, machten das Meme ausgesprochen anschlussfähig.
Ende der Woche tauchten dann zwei andere visuelle Memes so oft auf, dass man sie nicht verpassen konnte. Das Papst-Meme spielt mit der der Fotodarstellungsfunktion von Twitter Bildern, indem aus mehreren Close-Up Aufnahmen ein Bild des Papstes gebaut wird, der in einem vierten Bild etwas in seinen Händen hält, von Trickfilmfiguren bis zu Logos durfte der Papst einiges hochhalten, manchmal auch mit hinzugefügter Meta-Ebene, beispielsweise bei der Variante des Papstes, der “Himmel und Hölle” spielt. Besonders ehrgeizige Varianten des Memes ließen den hochgehaltenen Gegenstand noch in eins der anderen Close-Up Bilder rüberrutschen.
Das zweite visuelle Meme (“Copy and paste but change what the bunny is holding”) besteht aus dem Ascii-Art Bild eines Hasens, bei dem ausgetauscht wird, was er in den Pfoten hält. Die Einfachheit, mit der das Meme sich durch Copy und Paste reproduzieren und individualisieren ließ, sorgte für eine sehr schnelle Verbreitung. Größere Freiheit des Meme-Formats, wie bei “How it started / How it's going” sorgt dafür, dass Memes sich langfristiger verbreiten und auch wieder aufgegriffen werden. Im Gegensatz dazu stehen Memes wie das Hasen-Meme, bei dem die limitierte Einfachheit für gewöhnlich zu einer sehr raschen Verbreitung aber auch einem schnellen Verschwinden des Memes führt.
Weil Meme-Kultur stark intertextuell arbeitet, also in immer stärker verschachtelten Varianten mit Verweisen auf andere Memes spielt, ist dies eine Logische Konsequenz. (Saša Stanišić hatte übrigens die gleiche Idee).
2.
Ich habe darüber nachgedacht, wie man sich darauf vorbereitet, im Fokus eines Shitstorms zu stehen. Je sichtbarer man Online wird, desto größer wird das Risiko, dass sich Tweets oder öffentliche Auftritte von rechten Trollen instrumentalisieren lassen. Man kann aber auch mit einem kleinen Account ziemlich ahnungslos in ein solches Szenario stolpern.
Es gibt zumindest einige wesentliche Schritte, die man unternehmen kann, auch wenn sie einen nicht vor dem psychischen Stress beschützen können, der mit einem Shitstorm einhergeht: Schützt eure Privatadressen und stellt, soweit es möglich ist, bei jedem Online-Account Two-factor Authentification an und informiert euch über Passwortsicherheit. So sind im Falle eines Shitstorms zumindest eure Accounts gesichert und auch wenn ein Doxxing (die Veröffentlichung privater Informationen wie Telefonnummern oder Postadressen) oft nicht verhindert werden kann, sind alle Hindernisse, die Angreifern dafür in den Weg gelegt werden, zumindest hilfreich um Zeit zu gewinnen.
3.
Dieses Interview mit Isabella Rossellini ist grandios. Wenn man ihre Reflexionen über Schönheit, das Alter und die damit einhergehende Unsichtbarkeit von Frauen jenseits der 45 liest (Rosselinis Modelvertrag mit Lancôme wurde beispielsweise gekündigt, als sie 43 wurde, später aber wieder aufgenommen), wird man erst wütend und dann froh, über den Weg den sie genommen hat:
“In fact, Rossellini says, she is grateful that they gave her the boot a quarter of a century ago – and that Hollywood similarly wrote her off. It was at this point that she decided nothing would intimidate her and that she would do everything she had always wanted to. She wrote books and scripts, went to university in her mid-50s and completed a master’s in animal behaviour, made films for her own pleasure, bought the farm, started lecturing and made Green Porno, which aired on Robert Redford’s Sundance TV.”
Wer Green Porno nicht kennt, der hat noch etwas vor sich:
Die Geschichte von Rosselinis Alterungsprozess und der daraus resultierenden Unsichtbarkeit für Hollywood und ihrem Weg diese neue Unabhängigkeit zu nutzen, um in vollen Zügen ihren Interessen folgen zu können, um exzentrisch und seltsam zu sein, die Kunst zu machen, die sie interessiert, ist inspirierend. Und ohne diesen Prozess hätten wir auch kein Video von Rosselini, in dem sie einen Hamstermutter spielt, die sich überlegt, welches der Kinder sie zum Überleben auffressen soll.
Rosselinis Selbstermächtigungsprozess mit dem Mut zur eigenen Stimme steht in einem interessanten Gegensatz zu den Fantasien, die von der Hauptfigur in Christian Krachts 1995 veröffentlichtem Faserland formuliert werden.
“Isabella Rosselini ist die schönste Frau der Welt. Das klingt so platt, aber es ist doch wahr. Das ist sogar tausendprozentig wahr. Und das schönste an ihr ist die Nase. Die kann man gar nicht beschreiben, selbst wenn man wollte. [...] Ich habe schon viele Filme gesehen, da war Isabella nackt, und Nigel hat zum Beispiel immer gesagt, sie hätte einen erschreckend häßlichen Körper, aber ihr Körper ist nicht häßlich, sondern nur nicht perfekt, und sie weiß das, und deswegen liebe ich sie.”
Isabella Rosselini wird in dieser Textstelle zum Objekt einer Fixierung. Ihre Schönheit wird durch kleine Makel zwar aufgewertet, aber der trotzdem bleibt sie Projektionsfläche. Neben dieser Schönheit wird ihr keine charakterliche Tiefe zugesprochen, es wird nichteinmal darüber nachgedacht. Wie schön es ist, in dem Interview und in den Green Porno Filmen zu sehen, dass es ein Leben jenseits des patriarchal deformierten männlichen Blicks gibt.
4.
Vermutlich sind Parodievideos auf TikTok eine sehr zeitgenössische Variante von Literaturkritik, die sich nicht mehr einzelnen Werken oder Autor*innen widmet, sondern stattdessen Kritik an erzählerischen Tropen und Klischees formuliert. Die Videos von @ghosthoney in denen Stereotypen der YAF parodiert werden, beispielsweise Klischees der dystopischen YAF oder sehr breit vertretene (und problematische) Erzählmuster de, geben einerseits einen guten Eindruck über bestimmte Erzählkonventionen des Genres und zeigen andererseits humorvoll auf, wo mögliche Probleme dieser Erzählmuster liegen. Leser*innen rezipieren nicht mehr passiv, sondern setzen sich aktiv und kreativ mit ihren Genres auseinander, denn für eine erfolgreiche Parodie, die nicht nur etablierten Spott reproduziert, muss man sich mit dem Parodiegegenstand auskennen.
5.
Für 54Books hat Christina Dongowski das Buch Moi les hommes, je les déteste von Pauline Harmange rezensiert. Dabei ging es auch darum, inwieweit Bezüge zu feministischen Vorgängerinnen hergestellt wurden und ob das für die Zielgruppenansprache wirklich notwendig ist. Denn manchmal ist es wichtiger die anvisierte Zielgruppe mit einer wütenden Analyse direkt anzusprechen, als ein kompliziertes Geflecht aus intertextuellen Bezügen herzustellen.
Grundsätzlich denke ich aber, dass die Arbeit gegen ein Vergessen und gegen ausschließende Kanonisierungsmechanismen ein wichtiger Aspekt feministische Denkens sein muss. Für erste Schritte in diese Richung empfehle ich den Rage Syllabus von Electric Literature und diesen Blogpost von Christina Dongowski, der viele wichtige Namen auflistet und einen guten Einstieg bietet.
6.
Der Wahlkampf um den Vogel des Jahres tobt auch weiterhin und hat mittlerweile zu schönen Analysen von Mechanismen des Wahlverhaltens geführt und zu einem ganz neuen hoffnungsvollen Kandidaten, dem “Wursthabicht.” Wahrscheinlich ist es nur noch eine Frage der Zeit bis dieser im Herbst 2020 leidenschaftliche geführte Kampf um die ornithologische Gunst der Wähler*innen zum Gegenstand politikwissenschaftlicher Forschung wird.
Das war es für dieses Mal. Ich danke euch für die tolle Resonanz der letzten Woche und bin auch in dieser Woche gespannt auf eure Rückmeldungen, Hinweise und weiterführenden Gedanken.
Wenn euch der Newsletter gefällt, freue ich mich sehr über Weiterempfehlungen. Mit diesem Link kann er geteilt werden: Phoneurie. Wie immer findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram. Habt eine gute Woche!