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Ich denke manchmal – unter anderem in diesem Newsletter – darüber nach, was eigentlich in einem modernen Kanon mit Werken aus Film, Musik und Literatur, die besonders oft in Memes, Parodien und viralem Content referenziert werden, enthalten sein müsste. Mit Blick auf Filme hat ganz sicher Dirty Dancing einen festen Platz in diesem Kanon. Nachdem ich mich schon öfter über die Dirty Dancing-Muppet-Variante gefreut habe, kam mir diese Version gerade recht. Da wir mit TikTok in eine neue Hochphase des Tanzes eingestiegen sind, ergibt es tatsächlich Sinn, dass Vintage Tanzfilme besonders häufig in Memes und Parodien auftauchen. Warum nun aber Dirty Dancing erfolgreicher in meinen Timelines ist als z.B. Footloose oder Saturday Night Fever habe ich noch nicht genau verstanden, vielleicht hat jemand da eine These?
1.
Der Tod in Zeiten sozialer Medien und wie sich unsere Trauer durch das Internet verändert (hat) interessiert mich schon seit einer ganzen Weile. In den sozialen Medien, in Blogs, Videos und Posts, begleiten Menschen eigene Krankheitsprozess und ihr Verhältnis zum Sterben häufig vor einem großen mitfühlendem Publikum. Doch nicht nur Sterbende sondern auch Trauernde stoßen im Internet oft auf eine Gemeinschaft, die ohne großen Aufwand und jederzeit erreichbar ist und deswegen im besten Fall dem Tod die Einsamkeit nehmen kann.
Gleichzeitig sind die Timelines nur bedingt gute Orte für existentielle Gravitas, was sicherlich für viele gleichzeitig positiv und negativ sein kann. Es ist ja nicht unbedingt wünschenswert dem Tod immer nur in ernsthafter Haltung zu begegnen. Durch die Anonymität des Internets kann auch enthemmter über den Tod gesprochen und gewitzelt werden, was gut passt, denn der Tod als kulturelles Phänomen wird sowieso gerne zum Gegenstand von viralem Humor:
Und selbst die geschmacklosesten Takes zum Tod finden ihren Platz in der Timeline, wie die Antworten zahlreicher Menschen, die unter einem Post mit dem Video einer alten Dame, die regelmäßig von einer Eule besucht wird, fröhlich darauf verwiesen, dass das ihren bald bevorstehenden Tod symbolisieren würde.
Besonders freut es mich aber, wenn Content-Produzent*innen, die mit ihren lustigen Inhalten auch zum Thema Tod arbeiten, plötzlich das Register wechseln, um Fremden im Internet Trost zu spenden. Taryn Delanie, die nebenbei Miss New York ist, hat beispielsweise einen TikTok-Kanal, in dem sie sich regelmäßig als Vorzimmerdame des Himmels inszeniert und auf diesem Setting ihre extrem lustigen Clips aufbaut. Zwischendurch produziert sie jedoch auch Videos, in denen sie die verstorbenen Angehörigen von Follower*innen im Himmel begrüßt (z.B. hier und hier) und mit ihrer warmen und herzlichen Art damit erstaunlich viel Trost spendet. Ihre Videos haben auch andere TikToker dazu inspiriert ihr Format zu kopieren und dabei auch Trauernde zu trösten.
2.
In den beinahe hundert Ausgaben dieses Newsletter habe ich ziemlich regelmäßig gesammelt, wie Memes auch im deutschen politischen Kontext ankommen. (Beispielsweise bei Daddy Söder, Habeck, Amthor, Röttgen und dem Meme Account der CDU.) Nachdem Angela “Godmother of Memes” Merkel ihren Ruhestand genießt, überschlagen sich einige ihrer Parteikolleg*innen dabei mehr oder weniger erfolgreich zu versuchen Bilder mit Meme-Potential in die sozialen Medien zu streuen. Markus Söder versucht schon seit einigen Jahren mit ausgestelltem Nerdtum seine Nähe zur Bevölkerung zu markieren (siehe auch Star Trek Söder, Kommentar dazu in diesem Newsletter). Die deutsche Politik hat also Internetkultur für sich entdeckt, was an diesem 4. Mai zu einem Feuerwerk an Premium-Cringe führte.
Aber nicht nur Politiker*innen haben sich an diesem 4. Mai in den sozialen Medien blamiert, auch die Social Media Manager von Institutionen wie dem Auswärtigen Amt haben vorgelegt. Vermutlich ist der 4. Mai in ihren Kalendern als “Tag für spaßige Star Wars Inhalte” markiert und die Resultate waren ziemlich bemüht. Star Wars ist als Filmreihe ähnlich wie Dirty Dancing eine beliebte Quelle für Memes und Content. Wie bei allen Filmen und Serien mit großem und obsessivem Fandom, wird es jedoch auch schnell peinlich sich in diese Nischen zu begeben, weil der Auskennerwettbewerb zu diesen Themen riesig ist.
Der 4. Mai ist schon seit vielen Jahrzehnten ein Star Wars-Fantag, weil auf Englisch “May the 4th” klingt wie “May the Force.” Wenn jedoch ein solcher Tag zu einer Gelegenheit gerinnt anbiedernde Bilder von sich mit Star Wars Merch zu posten, dann wird der Peinlichkeitsfaktor am Ende groß, dass das initiale Ziel verfehlt wird. Die Politiker*innen wirken dann nicht menschlicher, normaler oder cooler sondern kalkulierend und opportunistisch.
Dazu passt auch, dass der initiale Star Wars Day begann, als am 4. Mai 1979 die Wahl von Maggie Thatcher zur Premierministerin mit einer Anzeige gefeiert wurde, in der die britischen Konservativen schrieben. “May the Fourth Be with You, Maggie. Congratulations.” Man kann sich natürlich als Partei und Politiker*in auch überlegen, ob man sich in diese Reihe stellen möchte.
In eigener Sache:
Ob es jemand mitbekommen hat? Ich habe einen Newsletter ausfallen lassen, weil ich in Leipzig auf der Buchmesse war und davor Lesungen in Siegen, Stuttgart, Tübingen und Düsseldorf hatte. Wer sehen will, wie ich mit meinem Wagenbach-Lektor Linus Guggenberger über digitale Filter spreche, kann das hier tun. Bei der Veranstaltung gab es auch eine gute Gesprächsrunde zum Thema bildgenerierende AI, die man hier anschauen kann. (Einen Link zur Diskussionsplattform 54books-Discord, auf die im Gespräch viel ansgespielt wird, findet man hier)
Ich habe für die FAS über Duschorangen geschrieben, man kann aber auch in der Dusche einen Riesengummiwurm essen und das ist vielleicht gar nicht das schlechteste “Shower-Food.”
Wie die Anhänger eines Incel-Anführers (ein Mensch der unfreiwillig keinen Sex hat) reagieren, wenn er endlich seine Jungfräulichkeit verloren hat, kann man hier nachlesen – die Reaktionen sind wie zu erwarten eine misogyne Enttäuschung in Reinform. Es war wieder Met-Gala (Quelle von Premium-Meme-Material) und in Reaktion gab es auch diesen tollen Thread, in dem die Kostüme mit Hühnerarten verglichen werden. Ich finde, dieses kreuzkomische AI Video (Audio mit Bark generiert, Video mit D-ID Studio) ist ein schönes Statement zum aktuellen AI-Diskurs.
Mit diesem sehr guten Tweet (AI-Memes und Little Professor, what’s not to like) und diesem AI-generierten The Great Gatsby-Trailer wünsche ich euch einen erholsamen Sonntag. Ihr findet mich wie immer auf Twitter, Mastodon, Instagram oder TikTok. Für längere Gespräche über AI, Tech, Bücher und das Schreiben bin ich aktuell häufig im 54books-Discord zu finden und freue mich euch da zu treffen (in den letzten Tagen ging es unter anderem darum, mit welcher Software die Menschen im Discord ihre Bücher und Texte schreiben).
Ich finde es total spannend, dass soziale Medien oft auch als Sprachrohr zu den Verstorbenen genutzt werden, "ich vermisse dich" und so weiter wird dann gepostet. Trauern ist irgendwo soziales Handeln - und wenn uns schon niemand in der Kirche beim Trauern sieht dann eben im Internet?