Über Statuen-Profilbilder und rechte Accounts
Herzlich Willkommen zur 91. Ausgabe dieses Newsletters!
Phoneurie wird mittlerweile von 2807 Menschen abonniert. 49 zahlende Subscriber*innen unterstützen diesen Newsletter regelmäßig, das entspricht knapp 2% der Lesenden. Ich arbeite als freie Autorin, das heißt, dieser Newsletter ist abhängig davon, dass Leser*innen ihn durch ihre Unterstützung ermöglichen. Ich danke allen, die das regelmäßig tun! Hier könnt ihr zahlende Subscriber*innen werden:
Ihr könnt mir natürlich auch gerne via Paypal eine Ladung saubere Wäsche spendieren, wenn euch dieser Newsletter auch an diesem Sonntag eine Freude gemacht hat.
In der vergangenen Woche ist – nach langer Vorfreude – mein Buch “Filter” in der Reihe Digitale Bildkulturen im Wagenbach Verlag erschienen. Ich steige in diesen Newsletter deswegen mit meiner Buchpublikation ein, weil ich erfreut aber auch etwas überrascht von der Resonanz war. (Der vorige Satz klingt extrem wie ein Humblebrag, aber keine Sorge, ich bin gar nicht bescheiden, sondern denke, dass es ein sehr gutes kleines Buch ist.)
Tatsächlich habe ich den Verdacht, dass wir langsam aber sicher in eine meta-reflexive Phase des Internetdiskurses übergehen. Immer mehr Menschen sind seit Jahren regelmäßig im Internet und besonders in den sozialen Medien unterwegs. Das Internet ist für die Breite der Gesellschaft mittlerweile alles andere als Neuland, aber wirft dennoch viele Fragen auf. Genau deswegen stoßen Gedanken und Überlegen aus dem Themenfeld “Terminally Online” mittlerweile auch bei einem breiteren Publikum auf Resonanz. Diese Fragen, für die sinnvollerweise immer auch ein Blick in die Internetdiskursgeschichte notwendig ist, drehen sich oft um folgende Themen:
In welchem größeren Kontext stehen unser Verhalten, unsere Sprache und unsere Codes in den sozialen Medien?
Welchen Einfluss haben die sozialen Medien auf die Gesellschaft
Steuert die algorithmische Architektur von Plattformen unser Verhalten? Gibt es Möglichkeiten sich diesen Vorgaben zu widersetzen und wie kann ein solcher Widerstand aussehen?
Wie verhalten sich reale und virtuelle Räume zueinander?
Vielleicht ist das ansteigende Interesse an dieser Meta-Reflexion auch ein Zeichen für eine Art Coming of Age-Moment der sozialen Medien und die aktuelle Krise vieler dieser Plattformen. Einerseits findet sich aktuell das offensichtliche Bedürfnis nach mehr Wissen über die Dinge im Internet, die dem Erfolg von Accounts wie diesem zugrunde liegen, und andererseits gibt es immer noch eine oft erstaunliche Ahnunglosigkeit in Bezug auf Internetkultur.
Gerade in den in der vergangenen Woche stattfindenden Diskussionen um das in den USA drohende TikTok-Verbot wurde wieder deutlich, wie groß teilweise die Wissenslücken in Internetkultur sind, wenn beispielsweise das NyQuil-Chicken – ein erfolgreiches Meme mit dem ironischen Rezeptvorschlag Hühnchen in dem Medikament zu kochen – im US-Kongress als Beispiel für die Gefahr von TikTok angeführt wurde.
1.
Auf Twitter haben seit ungefähr einem Jahr einige Accounts extrem an Sichtbarkeit und Einfluss gewonnen, deren Profilbilder antike Statuen sind. In ihren Tweets und Threads wird wahlweise detailliert (und trotzdem vereinfachend) über die Kultur und Ideengeschichte Europas geschrieben. Accounts wie “Culturaltutor” teilen Tweets und Threads, die sich regelmäßig viral verbreiten. Hinter der Fassade antiker Bilder und geschichtsversessenen Contents verbirgt sich jedoch oft ein knallhart konservatives bis offen rechtes Weltbild. Über die Faszination der us-amerikanischen Neurechten mit antiker Ästhetik und dem Film 300 hat Annika Brockschmidt geschrieben, die erfolgreichen Statuen-Twitter-Accounts sind eine weitere Seite dieses Phänomens.
Der größte und vielleicht auch am subtilsten vorgehende dieser Accounts ist der “Cultural Tutor”. Die Vorstellung, dass die “abendländische” Kultur außergewöhnlich und übergeordnet sei, spielt auch bei ihm eine zentrale Rolle. Wie erfolgreich dieses unter dem Deckmantel klassischer Bildung operierende Modell ist, kann man unter anderem daran erkennen, dass der Newsletter “Areopagus” des Cultural Tutors (nach eigener Angabe) über 70.000 Suscriber*innen hat.
Viele der anderen Statuen-Accounts sind in ihrer rechten Propaganda jedoch so plump, dass regelmäßig Spottmemes aus ihren Posts entstehen oder sie sich von anderen Menschen im Internet vorführen lassen:
Die Sichtbarkeit dieser Accounts und ihrer Inhalte zeigt, wie wichtig es ist, dass auch in den sozialen Medien regelmäßig über die politischen Implikationen und Kontexte sozial-medialer Posts nachgedacht und gesprochen wird. Denn hier haben sich rechte Accounts sehr erfolgreich einen Diskursraum erobert und erreichen durch das ignorante Weiterverbreiten ihrer Inhalte durch User*innen, die sich dieser Dimensionen nicht bewusst sind, ein riesiges Publikum.
Im Frühjahr 2023 wurde übrigens ein Reaktionsbild des Künstlers “@witts_art” für die “Statue PfPs” verbreitet, das sich inzwischen unter vielen dieser Posts findet. Die kritische Kommentierung mit Reaktionsbildern und Drukos kann ein erster Schritt sein, um andere User*innen auf dieses rechte Phänomen aufmerksam zu machen:
2.
Es gibt auf Facebook schon lange eine eigene Nische von Posts mit sentimentalen bis kitschigen Geschichten, in denen Menschen etwas Gutes tun oder den “wirklichen” Sinn des Lebens verstehen. Diese Posts von Seiten mit Titeln wie “Act Biggy”, “OliViral” oder “Things we love to see” werden oft viele hundert Mal geteilt und man stößt immer wieder auf dieselben inspirierenden Stories, deren faktuale Richtigkeit den meisten der Leser*innen vermutlich komplett egal ist. In letzter Zeit sehe ich öfters, dass diese Posts sehr offensichtlich mit in Midjourney generierten Bildern illustriert werden, deren “Fluffy Glamour Glow” (mehr dazu in diesem Artikel) perfekt zu der Ästhetik der Postinhalte passt. Das Midjourney 4 aber immer noch die Fingerproblematik hat und viele Bilder bei genauerer Betrachtung ins Gruselige kippen, macht diese Illustrierungen unfreiwillig komisch.
In eigener Sache:
Ich habe der SZ und dem SWR2 Lesenswert Magazin ein Interview zu Filtern und meinem neuen Buch gegeben und außerdem ein Video gemacht, in dem ich einige Filter verwende, die im Buch vorkommen und dabei erkläre, worum es in dem Band geht. (Hier auf Twitter oder auf TikTok)
Ich sehe in letzter Zeit immer häufiger Beispiele, bei denen auf Twitter mit der Annotationsfunktion auf AI-Fakes oder sonstigen Quatsch hingewiesen wird und das scheint mir ganz gut zu funktionieren (z.B. hier und hier).
Vice hat auf Twitter darüber geposted, dass in den USA umfassende Schweigevereinbarungen (NDAs) arbeitsrechtlich ungültig geworden sind und in den Qutoe-Retweets sammeln sich die aberwitzigsten Arbeitswelt-Anekdoten (und Warnungen, dass man sich nicht ohne Rechtsberatung mitreißen lassen sollte).
Mit diesem Thread mit den Mittelalter-Versionen von Markenlogos wünsche ich euch einen guten Sonntag. Ihr findet mich auf Twitter, Mastodon, Instagram oder TikTok. Für längere Gespräche über AI, Tech, Bücher und das Schreiben ingesamt bin ich aktuell häufig im 54books-Discord zu finden und freue mich euch da zu treffen.