Über Stangeneier, Buchcover und Filterblasen
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In der letzten Woche machten Bilder von Stangeneiern die Runde in meiner Timeline und ich habe davon inspiriert endlich mal das Sendung mit der Maus Video angeschaut, in dem erklärt wird, wie Stangeneier eigentlich produziert werden – ihr kanntet das vermutlich alle schon, aber für mich war es neu. Ich würde ja gerne mal Erklärvideos in dem Stil sehen, die nicht nur die Abläufe von Maschinen und technischen Geräten vermitteln, sondern so etwas wie einen Shit Storm oder ein Snowclone-Meme.
Außerdem wurde in meiner Timeline Olaf Scholz vermisst und gesucht und vermisst und gesucht. Ich bin gespannt, ob er in der nächsten Woche so präsent ist, dass diese Frage sich erledigen wird.
In Frankreich gab es ein interessantes Meme, nachdem Macron am 31. Januar ein Bild von Gegenständen auf seinem Schreibtisch gepostet hat und daraufhin sehr viele Menschen eigene Stillleben gebaut haben. (Danke an @ijscreme für den Hinweis)
1.
Eines zentrales Thema, das ich in diesem Newsletter immer wieder aufgreife, ist das Verhältnis von Literatur und sozialen Medien. Konkreter bezieht sich das auf die Frage, welche neuen Formen von Literatur in den sozialen Medien entstehen, wie Themen und Inhalte eines literarischen Kanons in Memes, TikTok-Videos und Tweets auftauchen und wie in den sozialen Medien mit ganz eigenen Mitteln Kanonarbeit betrieben wird.
Spannend finde ich es auch, wenn nicht nur die Inhalte von Büchern, Figuren oder Plotelemente, zu Memes werden, sondern die Buchgestaltung selbst.
Besonders beliebt sind Cover-Parodien von Kinderbuch- und Jugendbuchklassikern, die einen hohen Wiedererkennungswert haben, beispielsweise die Raupe Nimmersatt oder The Baby-Sitters Club. Die Wimmelbücher Where’s Waldo haben sogar einen eigenen Eintrag bei Know Your Meme, weil sie derartig viele Beiträge inspiriert haben. Im deutschsprachigen Raum sind es vor Allem die vielen Conni Cover- und Titel-Parodien, die ständig wieder auftauchen.
Neben beliebter Kinder- und Jugendliteratur gibt es auch ikonische Buchcover-Designs, die häufig parodiert werden. Dazu gehören vor Allem die stw Bücher von Suhrkamp (hier eine Anleitung), die gelben Reclam Bände und die O’Reilly Bände, für die es einen eigenen Parodie-Cover-Generator gibt.
Nachdem @derLampenputzer auf Twitter sehr viele selbstgestaltete stw Cover-Versionen zur Beschreibung einzelner User*innen geteilt hatte, reagierte Suhrkamp im vergangenen November übrigens humorvoll so:
2.
Ich verbringe nicht wahnsinnig viel Zeit auf TikTok, weil ich mein Handy sehr oft in Situationen benutze, in denen Sound eher störend ist und deswegen zu den Social Media Plattformen tendiere, die text- oder bildbasiert sind. Um durch TikTok-Videos zu schauen, muss ich mich also gezielt hinsetzen und mir die Zeit dafür nehmen (nicht super einfach mit mehreren Kindern in einer Pandemie). Das ist vermutlich im User*innenverhalten eher die Antithese zu einem großen Teil der User*innen, denn auf TikTok kann man perfekt festhängen und ohne größeren Aufwand wirklich viel Zeit verbringen.
Ich schaue am liebsten ausgefeilte Body-Comedy, alles mit Tanz oder Singen und außerdem Videos, in denen Stummfilmtechniken oder sonstwie filmische Tricks aufgegriffen werden – auch damit bin ich vermutlich solide im TikTok-Mainstream verankert. Nach einigen initialen Anpassungsschwierigkeiten, die vor allem darauf beruhten, dass der TikTok-Algorithmus nicht so wirklich einordnen konnte, welche Sprache und Lokalisierung er mir zuweisen sollte und deswegen munter durch alles mögliche rotierte, bin ich mittlerweile auch bei den vorgeschlagenen Videos ziemlich gut in meiner Nische angekommen und werde immer weiter mit exakt dem Gesang, Tanz und Slapstick gefüttert, der mir gefällt.
Als ich dann neulichst in der TikTok App meines Sohnes war, fühlte es sich an, als wäre ich in einer ganz anderen Welt gelandet. Wie sehr man sich in den immer stärker auf die individuellen Neigungen angepassten Empfehlungsalgorithmen einrichtet, merkt man immer dann, wenn man dieselbe Plattform bei anderen User*innen verwendet.
Diese Überlegungen ähneln nicht zufällig dem Filterblasen-Diskurs, der mit Eli Parisers The Filter Bubble: What The Internet Is Hiding From You ab 2011 aufkam und den Begriff der Filterblase etablierte. Parisers These war eher pessimistisch: Menschen werden nicht mehr mit gegenläufigen Meinungen konfrontiert, weil ihre Sucherergebnisse immer stärker von ihren eigenen Präferenzen geprägt werden. Ein Phänomen, das von der Architektur der jeweiligen Plattform unterstützt wird. Ob das Konzept der Filterblase wirklich zutrifft, wie es sich untersuchen und vermeiden lässt, hat im Anschluss zu einigen Diskussionen geführt. (Ein guter weiterführender Beitrag, findet sich hier.)
Interessant ist, dass Ansätze, die sich allein auf eine technische Lösung des Problems fokussieren, – das heißt konkret, den Algorithmen persönliche Daten vorzuenthalten und dadurch für mehr Privatsphäre zu sorgen – ignorieren, wie gerne Menschen in eine Badewanne steigen, die exakt ihre Lieblingstemperatur hat. Es ist unglaublich befrieidigend und komfortabel, wenn die Website schon weiß, was ich gerne mag, was ich gerne höre und was ich gerne schaue.
Dennoch gibt es eine von der Infrastruktur der Plattformen befeuerte Tendenz der an die einzelnen User*innen angepassten Monotonie. Unter der Überschrift “Rewilding Your Attention” hat der Journalist Clive Thompson deswegen darüber geschrieben, wie er bewusst versucht immer neue Nischen Online aufzusuchen, um sich der algorithmischen Automatisierung seines Feeds zu entziehen – eine Art Katz und Maus Spiel mit der Plattform, die versucht das User*innenverhalten zu verstehen.
Instead of crowding your attention with what’s already going viral on the intertubes, focus on the weird stuff. Hunt down the idiosyncratic posts and videos that people are publishing, oftentimes to tiny and niche audiences. It’s decidedly unviral culture — but it’s more likely to plant in your mind the seed of a rare, new idea. (Clive Thompson: “Rewilding Your Attention”, 26.8.2021)
3.
Ist Olaf Scholz wirklich gerade abwesend? Zumindest in meiner Twitter-Timeline wirkt es so. Und diese gefühlte Abwesenheit ist mittlerweile zu einem eigenen Meme geworden, komplett mit der typischen Überbietunslogik, von der ich hier immer wieder schreibe. Wenn man “Wo ist Olaf Scholz” bei Twitter in die Suche eingibt, bekommt man wirklich viele Resultate, also schaut doch selbst.
Mittlerweile versucht auch die CSU auf das Meme aufzuspringen, (mit einem “Wo ist Waldo”-Verweis, der schon vorher sehr oft gemacht wurde). Es gibt nun auch einen Spiegel-Kommentar zum Thema – der das Meme jedoch ignoriert – und wir dürfen uns ziemlich sicher in der nächsten Woche auf weitere Versuche freuen, das Meme im politischen Streit weiter zu bespielen oder “humorvoll” darauf zu antworten.
Dieses Video von James Bond mit Tierfilm-Stimme hat mich sehr gefreut. Außerdem gab es einen großen schwimmenden Tennisplatz, der aussieht wie ein Corona-Schnelltest und ein tolles Video mit Wintervergnügen in Holland im Jahr 1917.
Nun sind es weniger als drei Wochen bis zum Erscheinungstermin meines zweiten Romans Automaton! Mittlerweile stehen auch einige Lesungen, vielleicht sehen wir uns in diesem Jahr?
In der letzten Woche hatte ich an dieser Stelle das Bild eines Häkel-Wordles, in dieser Woche gibt es den Link zu einem neuen Werk von Chuck Tingle mit ähnlichem Thema, natürlich in typischem Tingle-Stil.
Mit diesem Bild pandemischer Törtchen, die ich zu gerne essen würde, wünsche ich euch einen schönen und kuchenreichen Sonntag. Wenn ihr diesen Newsletter gerne lest und Menschen kennt, die sich ebenfalls darüber freuen würden, dann bin ich euch für Weiterempfehlungen sehr dankbar.
Für die Zeit bis zum nächsten Newsletter findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram.