Über Pullover, ein langes Liebesgedicht und Koalas
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Eigentlich wollte ich eine lustige Einleitung schreiben über Schnee, Schlittenfahren und Eis, aber vermutlich kann man nicht auf die letzte Woche zurückblicken, ohne darüber zu schreiben, dass der Konflikt an der Grenze von der Ukraine und Russland ein neues Level erreicht hat und auch in den sozialen Medien massiv geführt wird. Tweets zum Thema werden viral geteilt und tragen mit zur Stimmung bei – hier ein guter Meme-Tweet zur Situation. (Dass dieser Konflikt übrigens schon seit Jahren auch in den sozialen Medien geführt wird, habe ich in diesem Newsletter bereits beschrieben.)
1.
Es gibt wiederkehrende Posts in allen sozialen Medien, die immer einem bestimmten Muster folgen, das aber mit jeweils neuen Inhalten verbinden. “I was today years old when I learned that…” in Kombination mit interessanten (oft auch absichtlich verkehrten) Informationen ist beispielsweis ein wiederkehrendes Muster, genauso wie “Reject modernity / Embrace Tradition.” Oft resultieren diese Formate aus alten Image-Macro Memes oder Subreddits und werden dann über Jahre weitergeführt.
Auf Twitter gibt es auch das beliebte “Twitter needs this..”, bei dem diese Aussage mit einem Bild, Video oder einem Link kombiniert wird. Was Twitter braucht, sind dann neben Veränderungen des Plattformregeln und neuen Features, die sich Menschen wünschen, sehr oft süße Tierbilder, herzerwärmende Nachrichten oder anderer Wohlfühl-Content.
Tiere sind eine unglaubliche Click-Währung in den sozialen Medien (mehr dazu auch in dieser Ausgabe des Newsletters). Die Frage ist, wie und ob man den fröhlichen Konsum von und die Identifikation mit niedlichen Tierbildern im virtuellen Raum in ein Interesse an Tierwohl und Naturschutz in der Realität übersetzen kann. Ich bin gespannt, welche Aufmerksamkeit das Aussterben der Koalas – eines der besonders beliebten niedlichen Social Media Tiere – auf den Plattformen bekommen wird.
2.
Erinnert ihr euch noch, dass ich am letzten Sonntag gefragt habe, ob Olaf Scholz in der nächsten Woche in den sozialen Medien und der Presse so präsent sein würde, dass sich die Frage nach seiner Abwesenheit erledigen würde? Sollte Olaf Scholz eine Social Media Beratung haben, dann hat er in dieser Woche kommunikationsstrategisch in wirklich perfekter Form reagiert, um das “Wo ist Olaf Scholz”-Meme zu ersticken.
Auf seinem mehrstündigen Flug zum Antrittsbesuch in Washington trug er einen entspannten grauen Pullover und die Bilder davon wurden sofort zum Meme, was allen Spekulationen über seine Abwesenheit vollständig den Wind aus den Segeln nahm.
Der beste strategisch Weg, um ein Meme zu überdecken, ist es aktiv daran mitzuarbeiten ein neues zu kreieren. Das funktioniert besoders gut, wenn Bilder veröffentlicht werden, die von der normalen visuellen Präsentation einer Machtfigur abweichen – Politiker*innen in der U-Bahn, mit Wollhandschuhen, auf einem Kinderfahrrad – und jetzt eben der Bundeskanzler im grauen Pullover in Reiseleiterposition im Flugzeug.
Der übliche Meme-Zyklus begann: Meme-Tweets, Kombinationen des Memes mit früheren Memes, Meta-Kommentare über die Omnipräsenz oder Funktion des Memes und die Ironisierung dieser Meta-Kommentare. Irgendwo in diesem kommunikativen Spiel wurde dann komplett vergessen, dass in der Woche zuvor das Spiel noch völlig anders verlief und die Abwesenheit von Scholz zum Gegenstand hatte. Sollten die Pullover-Bilder gezielt platziert worden sein, dann kann man der Social Media Strategie des Bundeskanzlers nur gratulieren, denn das war eine ziemlich erfolgreiche Offensive.
3.
Seit dem Frühjahr 2020 schreibt Alex Dimitrov ein immer weiterlaufendes Liebesgedicht auf Twitter. Jeden Tag veröffentlicht der Account @apoemcalledlove einen Tweet und setzt so das Gedicht fort, mittlerweile umfasst es 823 Tweets. Seine Gedanken zu seinem Langgedicht hat er hier aufgeschrieben:
It was while writing the poem that I began to understand what Abramović meant by “elevating the public spirit.” That became my mantra and my aim. I kept the form and the language accessible because it was important to me that any person, even one who didn’t read or like poetry, might enjoy and understand the poem, should they encounter it online. And I wanted the poem to be encountered. That’s the main reason I brought it to Twitter and didn’t keep it solely in print. I hoped people could see themselves in some line or some future line I hadn’t yet written. But I’d made the commitment to write. There was no going back really. You see, I’m still writing the poem today. (Alex Dimitrov: Craft Capsule: A Poem Called Love, 14.6.2021)
In der letzten Woche kursierte ein supersweetes Video von einem kleinen Mädchen im Dinosaurierschneeanzug, die einen Berg mit dem Snowboard hinabfährt und dabei mit einem Mikrophon aufgenommen wird – “Wheeewhoooo.” Ich hab versucht zu schauen, wo die Originalaufnahme herkam und hier könnt ihr sie finden.
Hier gab es einen sehr lustigen Thread zu dem legalen Kampf, den Käpt’n Iglo gegen die Cuxhavener Firma Appel Feinkost geführt hat. Hier ist die Geschichte eines gelangweilten Museumswächters, der während seiner Schicht ein wenig eines der Bilder verbessert hat.
Mit diesem weiteren guten Beispiel für einen Mise en Abyme-Tweet – ein Muster über das ich bereits in diesem und in diesem Newsletter schrieb.
Am 24. Februar – das heißt in weniger als 14 Tagen – erscheint mein zweiter Roman Automaton und dies ist der vorletzte Newsletter, in dem ich euch darauf hinweise.
Mit diesem sehr guten Thread mit Film-Pitches 6-Jähriger, die ich alle gerne sehen würde, wünsche ich euch einen schönen und kuchenreichen Sonntag. Wenn ihr diesen Newsletter weiterhin gerne lest (die Öffnungsraten dieses Newsletter in jeder Woche sprechen dafür), dann bin ich euch für Weiterempfehlungen sehr dankbar.
Für die Zeit bis zum nächsten Newsletter findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram.