Über Privatflugzeuge, Hunderettung und Eisbären
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In der vergangenen Woche wurde extrem viel zu NFTs getweetet, nachdem mehrere Prominente den Hype öffentlich angefeuert haben. Dass das ganze Thema nun im Mainstream angekommen ist, kann man wohl als Zeichen dafür lesen, dass das Pyramidensystem neue Käufer*innen braucht, damit der Buzz weitergehen kann.
1.
Vermutlich habt ihr in der letzten Woche auch die Bilder der Eisbären gesehen, die der russische Fotograf Dmitry Kokh auf der Kolyuchin Insel aufgenommen hat. In den Gebäuden einer ehemaligen sowjetischen Wetterstation, die in den 1930er Jahren gebaut und später verlassen wurde, haben sich zahlreiche Eisbären eingerichtet, die Kokh fotografiert hat. Die von ihm auf Instagram geteilten Bilder von in verlassenen Gebäuden herumlaufender Eisbären verbreiteten sich viral und es wurden zahlreiche Artikel zu den Aufnahmen verfasst.
Wenn reale Orte virale Aufmerksamkeit erzeugen, dann kann es passieren, dass der Impuls kreativ aufgegriffen und Online weiter verwendet wird. Im Fall der Bilder von Kokh begannen User*innen für die Kolyuchin Insel einige neue Google Rezensionen zu verfassen, in denen angebliche Tourist*innen über ihren Aufenthalt auf der Eisbäreninsel schreiben:
2.
In diesem Newsletter habe ich neben den Eisbären auch eine aufregende Hundegeschichte mit gutem Ende, die in den letzten Wochen in meiner isländischen Timeline für Aufregung sorgte. Am 6. Januar verschwand die Hündin Píla in den isländischen Westfjorden, als sie von Feuerwerk aufgeschreckt davonlief. In Folge wurde die Facebook-Gruppe “Suche nach Píla” gegründet, die rasch viele hundert Mitglieder hatte. Der Hund war in die Berge geflohen und dort in den letzten Wochen extremem Wetter ausgesetzt, denn der Winter ist auf Island generell und besonders in den Westfjorden nicht harmlos, mit zahlreichen Unwetterwarnungen, Schneestürmen und Lawinengefahr. Mittendrin befand sich die verlorene Hündin. Zehn Tage nach ihrem Verschwinden wurden Hundespuren an einem Hang entdeckt, später sah ein Kayak-Fahrer vom Wasser aus den Hund am Berg herumlaufen.
Jeder einzelne Schritt zur Rettung wurde eifrig gefavt und kommentiert. Nach den Bildern des Kayak-Fahres wurde mehrfach eine Drohne in die Luft geschickt, deren Bilder schließlich bestätigten, dass der Hund sich am schwer erreichbaren Hang einser der Berge in den Westfjorden verkrochen hatte.
Die Isländische Bergrettung rückte daraufhin aus, um den Hund aus schwierigen Bedingungen zu retten, was auch gelang. Die Aufmerksamkeit in den sozialen Medien richtete sich im Anschluss zur Feier des glücklichen Endes auf eine Spendenkampagne für die Bergrettung.
3.
In der letzten Woche ging der oben abgebildete Tweet von @amybarnhorst viral und wurde mir so oft in die Timeline gespült, dass ich das Bedürfnis bekommen habe, etwas dazu zu schreiben. Der Tweet ist vielleicht ein gutes Beispiel dafür, dass bestimmte Nachrichten in den sozialen Medien – gelinde gesagt – problematisch sein können. Obwohl ich inhaltlich gar nicht unbedingt vom Gegenteil überzeugt bin, halte ich diese Version von “Hard Boiled”-Fatalismus/Realismus in den sozialen Medien für kontraproduktiv.
Ich bin generell skeptisch, ob ein derartig schonungslos formuliertes Aussprechen angeblich harter Wahrheiten (man könnte es auch Doomerism nennen) ohne klare Adressaten (!) hilfreich ist. Die Chance Menschen mit solchen Tweets in zusätzliche Krisen zu stürzen, erscheint mir zu groß.
Die Soziologin Katherine Cross hat in einem sehr guten und längeren Thread (lest ihn unbedingt komplett) auf diesen Tweet geantwortet, indem sie die Frage stellt, wie notwendiger Wandel als positiv für Menschen formuliert werden kann. Damit wäre die Pandemie eine Chance grundsätzlich Dinge zu ändern, Missstände klar zu benennen und an auf die Gemeinschaft fokussierten Lösungen zu arbeiten:
4.
Auch diese Woche hatte wieder ihren viralen Streisand-Effekt Erfolg: Jack Sweeney, ein 19-Jähriger Student, hat einen Twitter-Bot programmiert, der mit öffentlich zugänglichen Daten die Flugbewegungen von Elon Musks Privatjet verfolgt. Elon Musk hat ihm dann 5000$ geboten, damit er den Bot offline nimmt. Ein Angebot, das Sweeney ablehnte. Mehrere Tweets mit der Nachricht verbreiteten sich rasch, die Follower*innenzahl des Accounts @ElonJet stieg drastisch an. Sweeney hat auch noch weitere Bots programmiert, die Privatjets folgen, darunter den Jets von Bill Gates und den Jets von Jeff Bezos.
Ich finde diese Accounts vor allem deswegen interessant, weil sie die absurde Menge an Flügen vor Augen führen, die von superreichen Privatpersonen durchgeführt werden. In Zeiten der Klimakatastrophe sind die Flüge mit Privatjets ein großes Problem, da diese laut einer Studie der NGO European Federation fpr Transport an Environment das fünf bis vierzehnfache der Verschmutzung pro Passengier im Vergleich mit Linienflügen ausmachen. Hinzu kommt außerdem, dass laut der Studie Privatflüge überdurchschnittlich häufig für Distanzen unter 500 Kilometern verwendet werden.
Die Distanz der einzelnen Flüge ist bei den Twitteraccounts derPrivatjets von Musk, Gates und Bezos nicht explizit genannt, aber mit den gegebenen Informationen leicht berechenbar, da Abflug- und Ankunfsort sowie die Flugzeit genannt werden. Das Statistische Bundesamt ordnet übrigens alle Flüge unter 1000 Kilometer Flugstrecke als Kurzstreckenflüge ein. Die Twitter-Accounts der Privatflugzeuge von Bezos, Gates und Musk sind ein ziemlich guter symbolischer Hinweis darauf, wo eine klimafreundlichere Politik ansetzen könnte.
5.
Apropos Politik in den sozialen Medien: Ich vermute, dass Spotify an diesem Wochenende eine interessante Lektion gelernt hat. Wie bei den Meme-Stocks (über die ich hier schrieb), als besonders die Schadenfreude und die Begeisterung an der kollektiven Fähigkeit einen Fonds in die Knie zu zwingen, zu einer immer größeren Verbreitung des Themas beitrug, hat sich in den sozialen Medien gerade die Aufmerksamkeit auf ein massenhaftes Kündigen der Spotify-Mitgliedschaft gerichtet. Aufgrund des Spotify-Exklusiv-Deals mit dem populistischen Joe Rogan, der in seinem Podcast gegen Covid-Impfungen und Maskenpflicht wettert, hatte Neil Young seine Musik von der Plattform zurückgezogen und damit die Aufmerksamkeit losgetreten.
Nachdem auch Joni Mitchell ihre Alben von Spotify entfernen ließ, begannen Hashtags wie #ByeSpotify zu trenden. Eine Plattform nach vielen Nutzungsjahren zu verlassen, ist jedoch gar nicht so einfach, wie auf Twitter immer wieder lamentiert wurde:
Daniel Ek, der superreiche CEO und Gründer von Spotify, dessen Vermögen sich wohl auf 4,4 Milliarden Dollar beläuft, hat übrigens im letzten Frühjahr versucht den Arsenal F.C . zu kaufen. Auf Spotify verdienen Künstler*innen pro Stream ca. 0.0038$.
Jack Dorsey, dessen Vermögen auf 11,8 Milliarden Dollar geschätzt wird, ist übrigens der Hauptanteilseigner von Tidal, das gerade oft als Altertantive zu Spotify genannt wird. Bei Tidal verdienen Künstler*innen pro Stream ca. 0.0125$.
Die Variante Bandcamp sollte man sich zumindest mal anschauen, wenn man ein grundsätzliches Interesse daran hat, dass Musiker*innen für ihre Arbeit bezahlt werden. (Einen guten Artikel zum Thema gab es vor zwei Jahren im New Yorker)
Irgendetwas an dieser Animation aller europäischen Leuchttürme hat mir sehr gute Laune gemacht, vielleicht liegt es daran, dass es eine perfekte Visualisierung davon ist, wie Menschen einander mit Technologie beschützen.
Wer diesen Newsletter schon länger liest, weiß es vermutlich schon: Der Erscheinungstermin meines zweiten Romans “Automaton” kommt immer näher und ich bin mittlerweile ganz nervös-vorfreudig. Wer also aus irgendeinem Grund noch nichts davon wusste, der hat es nun mitbekommen. Mein Roman handelt von Crowdworker*innen und deren prekären Arbeitsbedingungen, der Frage, wie man von Künstlicher Intelligenz erzählen kann und außerdem geht es um virtuelle Freundschaft und Solidarität.
Mit diesem Bild eines sehr guten Häkel-Wordles wünsche ich euch einen schönen Sonntag. Wenn ihr diesen Newsletter gerne lest und Menschen kennt, die sich ebenfalls darüber freuen würden, dann bin ich euch für Weiterempfehlungen sehr dankbar.
Für die Zeit bis zum nächsten Newsletter findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram.