Über Plattencover, Frauenfußball und die fiktive Zukunft
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Ich mag die Sommermonate in den sozialen Medien meist recht gerne, weil ich schon immer gerne die Urlaubsfotos anderer Menschen anschaue und in dieser Zeit besonders viele geteilt werden. Mein Urlaub ist nun zu Ende und die Nordatlantikinsel hat mich wieder, mit dem typischen isländischen Sommer aus Wind, Sonne und Regen und recht kühlen Temperaturen. Gute Bedingungen also, um diesen Newsletter zu schreiben, der einige von euch vermutlich im schönsten Sommerurlaub erreicht.
1.
In den letzten Wochen hat die Frauenfußball-Europameisterschaft auch in den sozialen Medien einiges an Aufmerksamkeit verursacht. Besonders während der Spiele finden sich mehr und mehr Tweets in den Timelines, Clips mit tollen Szenen werden geteilt und viele kommentieren die Spiele live. Und wie so oft, wenn Frauen erfolgreich sind, öffentliches Interesse und Geld bekommen, entsteht eine Abwertungsspirale, die versucht den vorherigen Status Quo wieder herzustellen.
Das ist tatsächlich kein neues Phänomen: Im Jahr 1921 verbot die English Football Association Frauen in ihren Stadien zu spielen. Der Frauenfußball hatte in England bereits Ende des 19. Jahrhunderts begonnen und war rasch populär geworden. Als durch den ersten Weltkrieg der britische Männerfußball von 1915 bis 1919 pausieren musste, begannen immer Menschen zu den Frauenfußballmatches zu gehen.
Als das im Bild abgebildete Team – die Dick, Kerr Ladies – im Jahr 1920 bei einem Spiel gegen die St Helens Ladies über 53.000 Fans anzog, zog die FA die Reißleine und verbot den Frauenfußball in ihren Stadien. Als Begründung wurde angeführt, dass der Sport für Frauen nicht geeignet sei. Das Verbot bliebt 50 Jahre in Kraft, der Frauenfußball wurde nachhaltig geschädigt, das Ziel war erreicht.
Hundert Jahre später kann der Frauenfußball zum Glück nicht mehr verboten werden, wenn er plötzlich Aufmerksamkeit bekommt. Das Patriarchat findet aber leider andere Wege sich zu wehren. TikTok wird beispielsweise seit Beginn des Turniers geflutet mit Videos, in denen Frauenfußball mit Männerfußball verglichen wird. Ziel dieser Videos ist nicht die Freude an dem Spiel oder das affirmative Vergleichen toller Sportclips anzuschauen, sondern es geht ausschließlich darum, dass Männerfußball besser und anspruchsvoller als Frauenfußball sei.
Antwortclips, die versuchen den Frauenfußball zu verteidigen, indem Männerfußball attackiert wird, spielen mittlerweile auch eine Rolle in dem gerade laufenden Fußball-Content-Geschlechterkampf. Die überwiegend polemischen und teilweise ausgesprochen sexistischen Videos ziehen extrem viel Aufmerksamkeit, weswegen stetig Neue produziert werden:
Eines der in diesem Kontext beliebten TikTok-Themen ist auch die Rolle von weiblichen Spielerinnen in dem Videospiel FIFA: Eigentlich sind Spielerinnen in dem Spiel nichts wirklich Neues, schon seit FIFA 16 können die Frauen-Nationalteams gespielt werden (der Weg dorthin war lang und schwierig und enthielt sogar eine Online-Petition mit über 40.000 Unterzeichnenden).
Auf dem Cover von FIFA 23, das im September veröffentlicht wird, ist die australische Spielerin Sam Kerr neben dem französischen Spieler Kylian Mbappé abgebildet, was in der sexistischen Gamer-Szene natürlich für Aufruhr sorgte (wer sich davon einen Endruck machen möchte, kann unter diesen offiziellen Ankündigungstweet des Covers schauen).
Aktuell schiebt der TikTok-Algorithmus besonders gern entrüstete und sexistische Videos nach oben, in denen die Playerscores von Ronaldo und Sam Kerr in FIFA 23 verglichen werden, viele der Kommentare zu diesen Videos sind eine absolute Sexismus-Shitshow (z.B. dieser Clip mit über 3,5 Millionen Views, dieser Clip mit über 200k Views, dieser Clip mit 15k Views)
Knapp hundert Jahre nach dem Frauenfußballverbot der FA brillieren die Frauen zwar auf den Plätzen und in den Stadien, aber in den Köpfen der Fußballfans muss sich noch einiges ändern. (Zum Thema passt übrigens auch dieser Panorama-Bericht)
2.
Ich finde die Zeitpunkte an denen die konkreten Daten fiktiver Zukunftsszenarien plötzlich von der Gegenwart eingeholt werden, immer besonders interessant. Beispiele gibt es viele von 1984 bis zu den Filmen Zurück in die Zukunft. Aktuell ist das Geburtsjahr von George J. Jetson – einer der Hauptfiguren der Serie The Jetsons, die in den frühen 1060ern startete – und natürlich gibt es dazu einige virale Tweets.
Die Jetsons sind besonders lustig, weil sie als Quelle für Internethumor schon länger erfolgreich sind. Das liegt vor allem daran, dass die Jetsons und die Feuersteins vom selben Studio produziert wurden und sich erzählerisch und visuell sehr ähnlich sind: Die eine Show spielt in der Steinzeit, die andere in einer Zukunft mit SpaceAge-Ästhetik.
Ein beliebtes wiederkehrendes Motiv ist die These, dass die Feuersteins und die Jetsons in der gleichen fiktiven Welt spielen, jedoch die Feuersteins in dem verarmten dystopischen Teil leben, während die Jetsons superreich sind.
3.
Es gibt Twitter-Accounts und Reddit-Foren, die ihren Unterhaltungsfaktor besonders aus der Interaktion ihrer Mitglieder beziehen, die auf Impulse mit kolletkiver Kreativität reagieren. Ein gutes Beispiel dafür ist der Twitter-Account Images That Could Be Album Covers (@ImagesAlbum), der – ganz seinem Namen entsprechend – Bilder teilt, die an Albumcover erinnern. Das an sich ist ja eher unspektakulär. Spannend wird es jedoch, wenn man die Drukos zu den Tweets anschaut und dort fast immer auf konkrete Albumentwürfe für reale oder fiktive Bands stößt:
Immer wieder wird auch der Bot @MakeItACover getaggt, der seit diesem Juni existiert und aus Bildern Albumcover mit dem typischen “Parental Advisory”-Aufkleber generiert, wenn er unter einem Foto markiert wird.
In eigener Sache:
In der Sendung “Kompressor” des DLF Kultur haben Ramona Westhof und ich uns am Beispiel von “Männer LOL” darüber unterhalten, was es bedeutet, wenn ein Meme oder ein Hashtag als Marke eingetragen wird. Den Beitrag kann man hier nachhören.
In der neuen Podcast-Folge von "Lakonisch Elegant trifft 54books" haben Christine Watty, Tilman Winterling und ich mit der Hamburger Literaturreferentin Antje Flemming über Lesungen gesprochen. Wir reden darüber, weswegen manche Lesungen großartig sind und andere überhaupt nicht und was das mit Format, Autor*in und Publikum zu tun hat.
Der Sommer 2022 ist Kate Bush-Sommer und hier ist ein guter Tweet für Freunde von “Running up that hill” und griechischer Mythologie. Hier ist ein Thread mit Bild einer Hai-Film-Requisite (die Bindestriche hätte man hier vermutlich auch anders setzen können), die in einem Schweizer See versenkt ist – gruselig!
Ein Tweet mit Screenshots aus Zeitungen der 1950er Jahre, in denen über Pizza geschrieben wird, zeigt wie ein in der Gegenwart omnipräsentes Gericht seinen Siegeszug antrat. Ich habe mal geschaut, wann “Pizza” das erste Mal in isländischen Zeitungen auftaucht und dabei Interessantes gefunden. Spannend ist bei diesen Textstellen vor allem, mit welchem bekannten Gericht die Pizza verglichen wird um bei den Leser*innen einen Referenzrahmen herzustellen: In Island sind das Pfannkuchen.
Mit diesem sehr guten Twitter-Hochzeits Tweet wünsche ich euch einen superschönen Sonntag, ganz egal, ob ihr noch nicht oder nicht mehr in den Sommerferien seid oder gerade auf einer sandigen Decke aufs Meer schaut. Ihr findet ihr mich in der nächsten Zeit wieder öfter auf Twitter, Instagram oder TikTok.