Über Papierflieger, Shakespeare und bunte Vierecke
Dies ist die 57. Ausgabe dieses Newsletters, seitdem ich im Oktober 2020 mit dem Schreiben begonnen habe. Phoneurie wird jeden Sonntag mehrere tausend Mal geöffnet und mittlerweile von 1756 Menschen abonniert. 47 zahlende Subscriber*innen unterstützen meine Arbeit regelmäßig. Alle Leser*innen, die meine weitere Arbeit an diesem Newsletter ermöglichen wollen und können, haben hier die Möglichkeit zahlende Subscriber*innen zu werden:
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Während ich diesen Newsletter schreibe, schaue ich immer mal wieder in der Timeline nach Neuigkeiten vom großen Untersee-Vulkanausbruch vor Tonga und hoffe das Beste fürdie betroffenen Menschen. Ich fand Vulkane schon immer spannend, aber seitdem ich wieder auf einer Insel wohne, auf der viel Nachrichtenraum für mögliche Vulkanausbrüche verwendet wird, regelmäßig Erdbeben zu spüren sind und man wirklich immer gespannt ist, was so passiert, verfolge ich alle Nachrichten von Vulkanen noch viel genauer und gerade ist meine Timeline voll davon.
1.
Man konnte in den letzen beiden Wochen den Wordle-Grafiken kaum entkommen, mit denen User*innen ihren Lösungserfolg aus dem Spiel “Wordle” teilten. Das Online-Spiel ist eine Art wortbasiertes Mastermind, bei dem man durch ausprobieren und geschicktes platzieren von Wörtern das Ausgangswort erraten muss.
Durch die kommentarlosen bunten Vierecke, die als Bilder geteilt werden, wurde vermutlich bei sehr vielen Nutzer*innen die Neugier geweckt, das Spiel selbst auszuprobieren. Durch die künstliche Knappheit – es gibt nur ein Wordle Spiel pro Tag – wird außerdem erreicht, dass die Spieler*innen des Spieles nicht zu rasch überdrüssig werden.
Der Entwickler von Wordle hat das Spiel initial während der Pandemie für seine Partnerin programmiert und sagt selbst, dass die Limitierung Teil des kometenhaften Erfolgs ist.
“The breakthrough, he said, was limiting players to one game per day. That enforced a sense of scarcity, which he said was partially inspired by the Spelling Bee, which leaves people wanting more, he said.” (“Wordle is a Love Story” in: The New York Times, 3.1.2022)
Mittlerweile ist der Zeitpunkt des Hype angekommen, bei dem die grafische Wordle-Darstellung selbst zur Quelle von Memes geworden ist, die dann wieder neue Interessierte an das Spiel heranführen. Ich bin gespannt, wann es wieder aufhört.
2.
In der letzten Woche habe ich einen langen Thread mit Tipps zum erfolgreichen Prokrastinieren geschrieben und in den Antworten wies mich @canzonett auf ein Papierflieger-Projekt hin, das schon einige Jahre alt ist, aber mir wirklich noch nie zuvor unterkam (vielleicht kennen einige von euch es schon lange?).
Es ist noch aus der Zeit, in der alle Apps irgendwie den Gyroskop-Sensor nutzen wollten und man deswegen ständig schütteln und drehen und sonstwie das Handy bewegen musste. Man stempelt und faltet ein Papier und schickt es dann um die Welt, außerdem kann man andere Papierflieger einfangen, stempeln und weiterschicken, sodass sie mit knapp 6 Millionen anderen Papierflugzeugen weiter um die Welt kreisen.
Es ist ganz auffällig, wieviele der Papierflieger, die man fängt, Stempel aus dem Jahr 2016 haben, dem Jahr in dem das Projekt gelaunched wurde. Als ich einige der Papierflieger fing und mit dem Reykjavík-Stempel aus dem Jahr 2021 versah, fünf Jahre später, dachte ich über die Menschen nach, die vor fünf Jahren ihren virtuellen Stempel auf den digitalen Papierfliegern hinterlassen hatte. Wieviele von ihnen noch leben, wo sie am Moment des Stempelns waren und welche Gedanken sie dabei umtrieben.
Ohne hier nun übertrieben kulturtheoretisch zu werden, kommen wir gerade meiner Meinung nach an einen Punkt in unserem digitalen Alltag, an dem auch Gegenstände oder Plattformen im virtuellen Raum mit einer wirklichen Aura versehen sind. Menschen, die schon lange verstorben sind, tauchen in den Streetviews bei Google Maps auf und alte Websites liegen verwaist in völlig veraltetem Design auf irgendwelchen Servern. Es gibt Plattformen, die mit der Kindheit oder Jugend ihrer Nutzer*innen verbunden sind und nun wie vergessene und staubige Spielzeugkisten in einem alten Kinderzimmer in der Virtualität auf den Moment warten, an dem sie jemand wieder entdeckt.
Ich erlebe es in den letzten Monaten immer öfter, dass ich Online auf Statusposts stoße, in denen solche Phänomene geschildert werden und vielleicht liegt es auch an der Pandemie, die vermutlich alle Nostalgie-Regler auf 100 gedreht hat, aber es berührt mich irgendwie, dass es soviele Spuren gibt, die in der Virtualität darauf warten wiederentdeckt zu werden.
3.
Auf Twitter hat in der vergangenen Woche ein größerer Account einen Tweet mit zwei Bildern abgesetzt, in dem er ein Date für seinen Freund gesucht hat. Ich möchte nicht zu sehr auf den Ausgangstweet und die daran enthaltene Person eingehen, denn was es persönlich bedeutet zu einem Main Character in den sozialen Medien zu werden, kann man hier nachlesen.
Es lohnt sich aber, das Meme selbst in seinen verschiedenen Iterationen anzuschauen, bei dem in vielen Tweets die Text-Bild Kombination als Inspiration aufgegriffen und minimal bis stark verändert wurde. Die Beiträge bewegten sich damit sehr rasch von dem Ausgangspost weg, was das Meme für mich ethisch weniger problematisch macht, als Beispielsweise die obsessiven Auseinandersetzung mit realen Menschen, die teilweise andere Memes begeleitet.
Der Tweet ist jedoch ein gutes Beispiel dafür, wie eine eigentlich unaufregende Kommunikation auf einer Platform, die es liebt tausend Layer Ironisierung über alles zu streichen, zur Ausgangsquelle für Memes wird.
4.
Ein Account, der aktuelle (britische) Politik mit Shakespeare-Zitaten kommentiert, findet ihr unter dem Handle @TheBardAnswers. Seitdem ich den Account verfolge, frage ich mich, ob das analog auch mit deutschen Autor*innen funktionieren würde. Vermutlich eignet sich niemand anders so gut für pointierte Kurzzitate wie Shakespeare.
Habt ihr schon von dem Kartoffel-Planeten gehört? Hier ist ein weiteres unglaublich tolles Beispiel für einen Mise en Abyme-Tweet – ein Muster über das ich bereits in diesem Newsletter schrieb. Wollt ihr wissen, was das verbotene Rührei ist, dann klickt mal auf diesen Tweet (es ist nicht eklig, keine Sorge).
In der letzten Woche habe ich einen längeren Vortrag darüber gehalten, was Nature Writing und Machien Writing miteinander verbindet, auf den ich hiermit zum Ende des Newsletter mal verweise. Hier gibt es außerdem noch einen Tweet mit Kühen, die VR-Brillen tragen und einen Verweis auf dieses Spiel, bei dem man zeichnet und gleichzeitig eine AI trainiert – es macht wirklich Spaß!
Außerdem ist es wieder Zeit, dass ich euch in schamloser Eigenwerbung darauf aufmerksam mache, dass Ende Februar mein zweiter Roman “Automaton” im Berlin Verlag erscheint und man ihn vorbestellen kann. Warum Vorbestellungen für Autor*innen wichtig sind, könnt ihr in diesem sehr guten Thread nachlesen:
Wenn euch dieser Newsletter gefällt oder ihr Menschen kennt, die sich ebenfalls über eine in Zukunft wieder regelmäßige Sonntags-eMail freuen würden, dann bin ich euch wie immer für Weiterempfehlungen sehr dankbar.
Für die Zeit bis zum nächsten Newsletter findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram.