Über Meme-Wars, blaues Glas und Internetdrama
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Der Wordle-Hype ist in der letzten Woche weitergegangen, mittlerweile gibt es das Spiel in den unterschiedlichsten Sprachen und Varianten, von Lewdle bis Wordle auf Altnordisch. Im Newsletter dieser Woche wird es ein wenig um das Spice-DAO gehen, eine Gruppe von Crypto-Enthusiasten, die an einer Auktion teilgenommen haben. Ich verspreche jedoch hiermit hoch und heilig, dass dieser Newsletter nicht in Web3 und NFT-Country abdriften wird, wie es irgendwie viele Menschen tun, die initial nur spaßeshalber angefangen haben sich mit Blockchains auseinanderzusetzen, um dann plötzlich von einer virtuellen Seifenkiste über die Vorteile von Dogecoins zu predigen.
Außerdem gibt es in diesem Newsletter auch noch ein SharePic-Desaster und einen längeren Teil zu angeblicher russischer Desinformation auf TikTok und dem Meme-War, der seit einigen Jahren zwischen der Ukraine und Russland auf Twitter stattfindet.
1.
Ich habe in den vergangenen Newslettern selten über NFTs geschrieben. Das Akronym NFT steht für Non-Fungible Tokens, das heißt auf der Blockchain gespeicherte und eindeutig identifizierbare Objekte, um die herum im letzten Jahr eine gewaltige Spekulationswelle entstanden ist. Das Internet ist voll von Videos und Artikeln, die angeblich NFTs und Blockchain einfach erklären, weil das ganze Thema eben tasächlich technisch nicht supereinfach zu verstehen ist. Eine meiner Meinung nach empfehlenswerte, aber nicht überlange Erklärung des Phänomens findet sich in diesem Artikel. Es ist vermutlich keine ganz abwegige Idee 13 Jahre nach Bitcoin zumindest die Grundzüge eines Trends (Blockchain) zu verstehen, der zunehmend an Einfluss gewinnt.
Das Thema habe ich in diesem Newsletter nur selten angeschnitten, obwohl ich es tatsächlich ganz interessant finde, weil es etwas quer zu den meisten meiner Themen liegt und ich weniger auf ökonomische als auf kommunikativ-ästhetische Ereignisse in den sozialen Medien schaue – auch wenn sich im vergangenen Jahr am Beispiel der Meme-Stocks gezeigt hat, dass all diese Bereiche nicht mehr wirklich voneinander abzugrenzen sind. Mittlerweile ist der NFT-Trend des vergangenen Jahres etwas abgeflaut, dafür sind nun DAOs und genrell der Überbegriff Web 3 in aller Munde. DAOs, das heißt dezentralisierte autonome Organisationen, sind die Basis neuer Konzepte eines dezentralisierten Internets, das eng mit Krypto-Ökonomie verbunden ist.
In einer DAO können sich Menschen zusammentun, indem sie sich via Tokens, die auf der Blockchain notiert sind, in die Organisation hineinkaufen. Die Menge der bessesenen Tokens in einer DAO beeinflusst das Stimmrecht für deren Entscheidungen. Wie mit allen mit Blockchain zusammenhängenden Dingen stellen sich auch für DAOs und das Web3 zahlreiche legale und ethische Fragen, die teilweise noch nicht ansatzweise zufriedenstellend beantwortet sind. Das hält jedoch Menschen nicht davon ab, sich in DAOs zusammenzutun und ihr Geld für mehr oder weniger sinnvolle Projekte zu investieren. Momentan geht es dabei oft um den Kauf von Dingen, wie beispielsweise NFT-Kunst oder seltene Musikalben.
Die Spice-DAO hat in der letzten Woche für viel Geld auf einer Auktion das Buch “Jodorowsky’s Dune” zu einer nicht realisierten Filmadaption von Frank Herbert’s Dune gekauft. Leider dachten die an dem Kauf der Spice-DAO Beteiligten anscheinend, dass sie damit das Urherberrecht für Dune erstanden hätten, um nun eine Anime-Serie zu produzieren, was Online zu extrem viel Spott geführt hat.
2.
In seiner Analyse des Dune-DAO-Dramas, das ich unter Punkt 1 beschrieben habe, schrieb Ryan Broderick im Newsletter Garbage Day einen interessanten Absatz, über den ich seitdem nachdenke:
“Whether we’re talking about Myspace, Tumblr, 4chan, and Something Awful or we’re talking about Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, and TikTok, the things that cause the biggest online meltdowns tend to stay the same. Influencers are “canceled,” power users are exposed as liars or frauds or abusers or hypocrites, weirdos and fetishists accidentally interact with normies, trolls attack and brigade each other, and, of course, people raise a bunch of money that goes nowhere.” (Quelle)
Seine These ist, dass die Grundformen von Internetdrama alle schon in den Jahren 2005 bis 2010 Online durchgespielt worden seien und seitdem dieselben geblieben sind. Ich finde diese These extrem überzeugend, glaube aber, dass es eher damit zusammenhängt, dass menschliche Konflikte generell unter einer limitierten Zahl von Mustern zusammenzufassen sind. Es wäre aber extrem interessant, die von Broderick kurz anformulierten Formen von Internetdrama ausführlicher zu verfolgen und in einer Art Dramengeschichte des Internets zu schauen, wie sie sich zu Skandalen, Konflikten und sozialen Eskalationslogiken aus der Zeit vor der Digitalisierung verhalten. Die Frage ist ob das Internet überhaupt neue Formen von sozialem Drama hervorgebracht hat.
3.
Die sich verschärfenden Spannungen zwischen der Ukraine und Russland haben schon im Dezember zu einem Austausch von Memes geführt, der sich als Meme-Wars bezeichnen lassen könnte. Am 7. Dezember begann der offizielle Twitter-Account der Ukraine mit einem Meme, das in Folge über eine halbe Million mal gefavt worden ist:
Russland antwortete zwei Tage später mit einem Quote-Retweet und einer Anspielung auf Krim-Wein, der keinen Kopfschmerz verursachen würde. Seitdem hat der offzielle Twitter-Account der Ukraine mehrfach Memes mit Russland Bezug geteilt, der Russland-Account antwortet jedoch nicht.
Für mich war dieser Austausch das erste Mal, dass ich bewusst offizielle Accounts von Nationalstaaten sehe, die Memes verwenden, um Aufmerksamkeit für ihre politischen Konflikte zu erzeugen (falls es andere Beipiele dafür gibt, freue ich mich über Hinweise). Ich habe dann angefangen zu suchen und festgestellt, dass der Konflikt von @Ukraine und @Russia schon sehr viel älter ist, bereits 2016 wurde der erste Tweet von Russland abgesetzt, der sich auf den Konflikt der beiden Länder bezog. Seitdem gab es immer wieder Tweet-Interaktionen der beiden Länder, in denen der Konflikt in Memes verarbeitet wurde.
Die sozial-mediale Dimension des Konflikts hat in den letzten Wochen noch eine neue Ebene gewonnen, denn es gab einen Presse-Artikel in den USA, in dem davon gesprochen wird, dass schwedische Kinder und Jugendliche auf TikTok angeblich mit russischer Desinformation konfrontiert seien:
“Fortunately, Sweden has a new psychological defense agency tasked with doing precisely that. The Swedish Psychological Defense Agency was launched on New Year’s Day to strengthen the public’s resilience to disinformation. Importantly, it will also conduct the complicated work of identifying and exposing the perpetrators of disinformation. With the TikTok disinformation campaign in full swing, the Psychological Defense Agency will need to swiftly issue advice – on TikTok perhaps – to children, teenagers, parents, and teachers.” (Elisabeth Braw: “‘War Is Coming’: Mysterious TikTok Videos Are Scaring Sweden’s Children”, Defense One 16.1.2022)
In seinem aktuellen Newsletter analysiert Ryan Broderick (ich habe ihn zu einem anderen Zusammenhang unter Punkt 2 schon erwähnt) den politischen Kontext aus dem heraus sich Braw äußert: Sie gehört wohl zu einem Think Tank der aus Mitte-Rechts Position häufiger anti-russische Beiträge lanciert. Broderick hinterfragt kritisch, warum in keinem der Beiträge zu angeblicher Kriegspropaganda und Misinformation auf TikTok überhaupt ein Link gesetzt sei und verzeichnet deswegen bei diesem Thema den starken Anklang einer Moralpanik.
Da ich Schwedisch spreche, habe ich angefangen zu wühlen, wo die Information über die TikTok-Ängste schwedischer Kinder herkommen: In zahlreichen schwedischen Presseartikeln wird immer wieder Marie Angsell von der Kinderrechtsorganisation BRIS zitiert, die sagt, dass sie eine verstärkte Zahl verängstigter Anrufe von Kindern und Jugendlichen verzeichnen würden, die entsprechende Videos auf TikTok gesehen hätten (Elisabeth Braw verweist selbst auf einen der frühen Artikel zum Thema in der Zeitung Aftonbladet). Links zu den Videos werden keine gesetzt, aber in der schwedischen Presse wird auch nicht impliziert, dass diese Videos Teil einer russischen Desinformationskampagne seien.
Ich habe dann ein wenig auf TikTok herumgeschaut und die Videos, die ich dort gesehen habe, sind vor allem Videos schwedischer User*innen, in denen maximal raunend und mit nicht weiter erklärten Filmausschnitten überlegt wird, wie ein solcher russischer Angriff aussehen könnte. Es gibt aber auch Accounts wie @Cleaning.Coins2022, die ausschließlich Clips zeigen, in denen Screenshots schwedischer Nachrichtenseiten mit dunkel unterlegter Musik die drohende Gefahr eines russischen Angriffes auf Schweden und Finnland implizieren. Diese kurzen Videos sind überwiegend im fünfstelligen Bereich geklickt und in den Kommentaren diskutieren vermutlich junge Schwed*innen über ihre Bereitschaft / Angst / Sorge in Bezug auf einen solchen Angriffskrieg. Interessant ist dabei, dass die Zeitungsartikel-Screenshots zu einem größeren Teil von der schwedischen Boulevardzeitschrift Aftonbladet kommen, hinzugefügt wird nur Kommentar und Musik.
Es ist sicherlich fraglich, ob eine russische Desinformationskampagne darauf beruht schwedischen Jugendlichen Screenshots schwedischer Boulevardmedien zu zeigen, stattdessen wird hier wohl eher von Einzelaccounts mit sensationalisierenden Clips die Clicklogik von TikTok bedient. Dass sich jedoch schwedische Kinder und Jugendliche von diesen Clips verängstigen lassen, ist naheliegend und es ist gut, dass dieses Thema in den schwedischen Medien aufgegriffen wird, auch wenn die Zeitung Aftonbladet evtl. auf ihre eigene unrühmliche Rolle als eine der Quellen dieser alarmistischen Videos eingehen sollte.
4.
Wir leben wirklich in goldenen Zeiten für Informations-Trolling, weil die Kombination aus Fotografie und Zitat in einem SharePic mittlerweile eines der zentralen Formate ist, mit denen in den sozialen Medien personalisierte Statements geteilt werden. Diese Bild-Text Kombinationen haben offensichtlich immer wieder soviel Autorität, dass sie sich viral verbreiten.
Obwohl das zugehörige Meme-Genre von Troll Quotes und Fake Quotes, mit dem diese SharePics gefälscht und ironisiert werden, ein Phänomen ist, welches ebenfalls immer wieder auftaucht, scheint die Bereitschaft, SharePics einigermaßen kritiklos zu glauben, immer noch sehr weit verbreitet zu sein. In der letzten Woche wurde ein Bild des Fußballspielers Ricardo Pepi geteilt, das der FC Augsburg schließlich öffentlich dementieren musste (und damit den Streisand-Effekt einlud):
Dieser Tweet zeigt das Bild einer wunderschöner blauen Glasschale aus dem alten Rom, die gerade ausgegraben wurde. In der letzten Woche habe ich gelernt, dass der Regisseur David Lynch im Jahr 1981 fünf Woody Woodpecker Stoffpuppen gerettet hat, die seine lieben Freunde wurden. In diesem Video werden die Spice Girls und Ausschnitte aus dem Dune-Film genial miteinander kombiniert und auf Reddit sammeln Menschen die schönsten Lieder, die sie jemals gehört haben.
Wer für die nächste Woche noch eine gute Wordle-Alternative zum Prokrastinieren braucht, wird hier fündig. Und wer sich ungerne mit Spielen unterhält, der kann mit dieser speziellen Suchmaschine “Weird Old Bookfinder” nach interessanten alten Büchern suchen, die dann direkt Online zu lesen sind.
Wenn ihr diesen Newsletter gerne lest und Menschen kennt, die sich ebenfalls darüber freuen würden, dann bin ich euch für Weiterempfehlungen sehr dankbar. Alle die diesen Newsletter regelmäßig lesen, wissen es schon: Ende Februar erscheint mein zweiter Roman “Automaton” im Berlin Verlag und man kann ihn auch schon vorbestellen. Warum Vorbestellungen für Autor*innen wichtig sind, könnt ihr in diesem sehr guten Thread nachlesen:
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