Über Meme-Monarchie, Füchse und AI-Horror
Herzlich Willkommen zur 79. Ausgabe dieses Newsletters! Phoneurie wird mittlerweile von 2439 Menschen abonniert und 51 zahlende Subscriber*innen unterstützen diesen Newsletter regelmäßig – das entspricht 2% der Leser*innen. Die Themenrecherche und das Schreiben dieses Newsletters benötigen viel Zeit: Leser*innen, die diese Arbeit weiter ermöglichen wollen und können, haben deswegen die Möglichkeit zahlende Subscriber*innen zu werden:
Ihr könnt mir natürlich auch gerne via Paypal etwas Hundefutter spendieren, wenn ihr diesen Newsletter gerne lest und euch von den Themen inspirieren lasst.
“i can never delete this app because the progression from making fun of that reddit guy's sex song to don't worry darling drama to lea michele funny girl debut to the queen being reincarnated as trisha paytas' baby is absolute gold” – als dieser Tweet in meiner Timeline auftauchte, habe ich nur zustimmend genickt (vermutlich ebenso wie die beinahe 400k Accounts, die den Tweet auch gefavt haben).
Es gibt ruhige und schnelle Wochen im Internet und nicht immer hat das nur mit der Nachrichtendichte oder Ereignissen außerhalb der sozialen Medien zu tun. Twitter ist beispielsweise mittlerweile eine derartig aufgeheizte, von Fandoms, Interessengruppen und Debattengeiern geprägte Plattform, dass dort permanent eigene Phänomene entstehen, die dann wieder über die Grenzen der Twitter-Timelines hinausstrahlen.
Dazu passt diese aktuelle Studie der Plattform KnowYourMeme, in der die Ursprungsplattformen erfolgreicher Memes über mehrere Jahre analysiert wurden: Von 2014 bis 2021 ist Twitter der häufigste Entstehungsort von Memes, ein Rang der Twitter erst 2022 von TikTok abgelaufen wird. Vermutlich würde die Kurve noch etwas anders aussehen, wenn man sich über Memes hinaus den Einfluss von Plattformen auf Diskursthemen anschauen könnte. Dazu müsste man nicht nur virale Inhalte und Debattentrends berücksichtigen, sondern auch den Multiplikationsfaktor von Plattformen, der eng mit der Zusammensetzung der dortigen User*innen zusammenhängt.
1.
Schach ist ein interessantes Spiel, weil der Sieg von Computern über Menschen im Schach für lange Zeit ein Faktor in der Messung von Computerfähigkeiten war. Schach und Maschinen haben also ein interessantes Verhältnis. Spätestens seit den 1990er Jahren sind jedoch selbst sogenannte Schach-Großmeister keine Konkurrenz mehr für die Algorithmen, was den Betrug mit technischer Unterstützung natürlich zeimlich attraktiv macht.
Aktuell wirbelt ein Skandal die Schachwelt auf, der durch einen Tweet des Schachspielers Magnus Carlsen ausgelöst wurde, in dem Carlsen seinen Gegner Hans Niemann des Betruges beschuldigt ohne dabei konkret zu werden. Ohne jetzt zu tief in die Materie einsteigen zu wollen, sind besonders die Überlegungen, wie Niemann im Spiel betrogen haben könnte, ziemlich faszinierend, weil in ihnen so ein interessantes Mensch-Maschine-Verhältnis aufgemacht wird. Im Angebot sind unter anderem vibrierende Analplugs:
Vielleicht sollten wir doch nochmal über Schachturniere mit Schachrobotern nachdenken, wenn diese den Spieler*innen nicht mehr die Finger brechen.
2.
Die Queen ist gestorben und das ist für die sozialen Medien, in denen die Monarchie sowieso eine große Meme-Funktion hat, ein intensive Anlass. Der Tweet des offiziellen Accounts über ihren Tod wurde bereits beinahe eine Million mal retweetet.
Ich habe vor einer Weile einen Artikel darüber geschrieben, wie Memes durch verschiedene Twittersprachsphären streuen (den Text kann man in diesem Buch lesen). Dabei ging es auch darum, dass es auf Twitter verschiedene Semiosphären gibt. Genauer sind damit Bereiche gemeint, die sich durch eigene Sprachen, eigene Codes und ein eigenes Zeichenreservoir voneinander abgrenzen – manche nennen solche Bereiche auch “Bubbles”. Diese Semiosphären sind nicht klar markiert oder eindeutige abgegrenzt, aber viele User*innen haben ein intuitives Verständnis von ihnen, wenn sie beispielsweise Begriffe wie “Elterntwitter”, “Schmunzeltwitter” oder “Sifftwitter” verwenden.
Bei großen Ereignissen, wie dem Tod einer historischen Persönlichkeit, reagieren verschiedenste Semiosphähren auf das Thema. Aufgrund der hohen Retweet-Bereitschaft und der am Thema interessierten Atmosphäre streuen dann Tweets aus der einen Semiosphäre in die andere, was regelmäßig zu riesigen Konflikten führt.
Der Tod der Queen und der simultan erfolgende Zusammenprall von “Irish Twitter”, “African Twitter”, “Argentinian Twitter”, “Caribbean Twitter” und dem monarchiekritischen Teil der britischen Bevölkerung mit den tatsächlich um die Königin trauernden Menschen war dementsprechend heftig. Eine Köngin mit großer Symbolfunktion wird in abweichenden Kontexten völlig unterschiedlich wahrgenommen und entsprechend wird auch ihrem Tod wahlweise mit Trauer, Forderungen nach Respekt oder Spott und Häme begegnet.
Das Alles ist an und für sich nichts Neues. Interessant an der Struktur der sozialen Medien unserer Gegenwart ist aber, dass eben diese verschiedenen Wahrnehmungen quasi zeitgleich zusammentreffen. Durch die Architektur der Plattformen wird außerdem die Sichtbarkeit der radikalsten Äußerungen zum Thema erhöht, ob das nun legitime Wut auf die britische Monarchie, unhöfliche Memes, großartige Shitposts oder eben auch extreme oder merkwürdige Gefühlsäußerungen sind. Deswegen funktionierien auch alle Warnungen sich angemessen zu verhalten, Pietät zu zeigen oder respektvoll mit Toten umzugehen in den sozialen Medien nur selten, denn diese Aufforderungen ignorieren, dass es im Internet eben nicht mehr den einen Kontext gibt, der allen anderen seine Regeln und Deutungen aufzwingen kann.
3.
Creepypasta sind die Horrorstories des Internets und verbreiten sich dort. Entscheidend für Creepypasta ist der Veröffentlichungsort und die Anpassung des Horrorthemas an die Plattform, ob als Tweet, als TikTok-Video oder in längeren Reddit-Beiträgen. Es ist oft so, dass Beiträge in den sozialen Medien, die im weitesten Sinne gruselig sind oder von etwas Unheimlichen aus der Ich-Perspektive erzählen, als Creepypasta bezeichnet werden. Für die Bezeichnung Creepypasta ist also nicht entscheidend, ob es sich bei den Beiträgen um Fakt oder Fiktion handelt. In der letzten Woche gab es nun den ersten AI Bildgenerator Creepypasta: Einen Thread, der von einer unheimlichen Bildgenerierung erzählt und sich rasch weit verbreitete, weil Geschichten vom Umheimlichen der Technik, vom Grusel der Algorithmus-Black Box besonders beliebt sind.
Ich hatte schon auf einen solchen Twist gewartet, weil viele generierte Bilder ein unheimliches Element haben und auf Twitter auch schon seit Jahren mit dieser Variante unheimlichen Erzählens gespielt wurde. (schon 2019 habe ich in Teilen darüber diesen Text verfasst).
In dem Thread von @supercomposite wird von einem Bildgenerierungsexperiment berichtet (im Thread steht genaueres für die technisch interessierteren), bei dem das Gesicht einer entstellten Frau entstand. Benutzte man nun dieses Bild gemeinsam mit anderen harmlose Fotografien als Prompt, dann entstanden extrem gruselige und blutrünstige Bilder.
Seitdem wird nun darüber gesprochen, dass die als Loab bezeichnete Figur der erste Cryptid des lateralen Raumes sei und es wird natürlich auch viel über die Echtheit des Threads und der angeblichen Resultate debattiert. Grundsätzlich ist es nicht besonders überraschend, dass ein auf einem großen Korpus an Bildmaterial trainiertes Netzwerk auch Bilder ausspuckt, die unser etabliertes kulturelles Register von Unheimlichkeit bedienen, das nicht zufällig oft extrem stigmatisierend ist.
Die massive Popularität des Threads speist sich sicherlich aus einem Grusel den aktuell omnipräsenten Bildgenerierungs-Tools gegenüber. Von Dall-e, Stable Diffusion bis Midjourney wirft die AI Generierung von Bildern aus Text-Prompts bei vielen Anwender*innen Fragen auf, auch wenn Freude und Überraschung bei dem Spiel mit Prompts initial sicherlich überwogen.
Loab ist nun das Gesicht des Grusels der mysteriösen Software gegenüber. Dabei waren unheimliche Resultate in der frühen Anwendung von GANs ziemlich häufig. Durch die Verbesserung der aktuellen Diffusion-Modelle sind wir mittlerweile jedoch sehr viel bessere Resultate gewöhnt, die unheimlichen Fehlgenerierungen der Frühphase schienen vorbei. Die generierte Unheimlichkeit von Loab erinnert uns nun plötzlich wieder auf erschreckende Weise an das Unheimliche des Algorithmus.
5.
Die Autorin Anne Louise Avery ist auf Twitter mit ihren kleinen Vignetten sehr beliebt , die das Leben eines alten Fuchses und seiner Freunde in einem englischen Cottag beschreiben. Seit Beginn der Pandemie schreibt sie diese beinahe schmerzhaft süßen Text-Bild-Tweets und hat mit dieser Arbeit mittlerweile eine große Patreon-Community aufgebaut. (Cuteness ist eine Währung in den sozialen Medien)
Viele Menschen lieben ganz offensichtlich diese Form niedlichen Contents, der süße Tierfotos mit literarischen Vignetten vermischt. Averys Tweets sind für mich faszinierend, weil sie wirklich die Mittel von Twitter für das Schreiben von Literatur nutzen und damit offensichtlich sehr viele Leser*innen begeistern. (Hier gibt es ein längeres Gespräch mit ihr über ihre Twitter-Texte)
In eigener Sache:
Für das Kursbuch schreibe ich in der Reihe “Islandtief” regelmäßig über Island und denke darüber nach, wie sich die Nordatlantikinsel durch Technologie global vernetzt und wie dabei Vergangenheit und Gegenwart zusammenspielen. In den bisher erschienenen Texten ging es bereits um Selfies aus Schwimmbädern, um virtuelle Lavaflüsse und um Webcams auf Vogelfelsen und im aktuellen Text geht es um Telegrafenkabel und High Speed Internet – man kann übrigens alle Texte der Islandtief-Reihe auch einzeln als eBook kaufen.
Für die FAS an diesem Wochenende habe ich einen längeren Text über BeReal geschrieben und meine Kolumne dem Thema AI Stimmfilter gewidmet – Enjoy!
Hier gab es einen sehr guten Thread, der detailliert nachzeichnet, wie auf Wikipedia der Tod der Queen verarbeitet wurde und hier einen schier unglaublichen Context Collapse auf dem Instagram Account der Royal Family. Nach diesem sehr langen Newsletter wünsche ich euch nun einen erholsamen Septembersonntag! Ihr findet ihr mich bis zum nächsten Newsletter auf Twitter, Instagram und TikTok.