Herzlich Willkommen zur 63. Ausgabe dieses Newsletters!
Im Gegensatz zu den anderen Sonntagen spare ich mir in dieser Woche einiges, was sonst typisch für diesen Newsletter ist. In der letzten Woche schrieb ich noch, dass ich gespannt sei, wovon dieser Newsletter handeln würde und nun wurde dieser Satz leider von der Realität überholt.
Es ist Krieg in Europa. Und auch wenn dieser Krieg nicht ansatzweise der erste Krieg auf europäischem Boden seit dem 2. Weltkrieg ist – wie fälschlicherweise oft behauptet und auch oft korrigiert wurde – so ist er genauso brutal, verstörend und grausam, wie es eben alle Kriege sind. Der Schock und die Verzweiflung, die von vielen Menschen aktuell empfunden werden, finden ihren Ausdruck auch in vielfacher Kommunikation in den sozialen Medien. Seit dem Beginn am Donnerstag entlädt sich ein konstanter Schwall an Beiträgen auf Plattformen, die alle schon in den sich zuspitzenden Wochen vor dem russischen Angriff zu einem Ort von Cyber- und Meme-Kriegsführung geworden waren.
In den vergangenen Monaten ging es deswegen in diesem Newsletter schon mehrfach um den Meme-Krieg zwischen der Ukraine und Russland, einen Krieg, der nun leider auch in der Realität stattfindet und dabei eine extreme Dynamik in den sozialen Medien entfacht hat.
Mit Blick auf diese Unmengen von sozial-medialer Kommunikation unterscheidet sich der Krieg in der Ukraine zunächst nicht grundlegend von anderen gewaltvollen Ereignissen, Kämpfen, Terror und Naturkatastrophen. Schlimme Dinge mit hohem Nachrichtenwert passieren und quasi zeitgleich dominieren sie die Timeline und doch hat die Fieberhaftigkeit, mit der in den sozialen Medien nicht nur auf den Krieg reagiert sondern auch partizipiert wird, eine auf mich neu wirkende Dynamik.
In diesem Newsletter habe ich immer wieder auch die schwierigen, bestürzenden und schrecklichen Ereignisse aufgegriffen, welche in den Timelines verarbeitet wurden und darüber nachgedacht, wie mit Memes und viralen Posts Politik gemacht wird. Denoch finde ich es in dieser Woche schwierig über einen Krieg zu schreiben, der sich zeitgleich mit extremer Intensität auch in den sozialen Medien entfaltet. Es kommt mir jedoch genauso falsch vor über andere Themen zu schreiben, denn der in den Feeds allgegenwärtige Krieg lässt wenig Raum für anderes und ich möchte den Blick auch nicht wegrichten, von dem was aktuell passiert.
Deswegen habe ich beschlossen mich ausschließlich auf die Kernthemen dieses Newsletters zu konzentrieren: Ich werde also anhand einiger Beispiele betrachten, wie sich der Krieg zwischen Russland und der Ukraine seit Donnerstag in den sozialen Medien abbildete, und was das mit den Plattformen und ihren spezifischen kommunikativen Architekturen zu tun hat, das heißt inwieweit virale Geschichten, virale Tweets, Videos und auch Memes den Konflikt begleiten. Zu diesem Thema gehört nicht zuletzt auch die ethische Frage, ob ein Krieg nicht ein Anlass ist, der vielleicht gerade nicht in Memes verarbeitet werden sollte.
Zum Ende dieses Newsletters in besonderen Zeiten wird es auch darum gehen, wie man als hilflos die sozialen Medien nutzender Mensch mit dieser aktuellen Situation umgehen kann.
1.
Die Angst und das Leiden der Menschen im Krieg lassen sich besser über Geschichten von Individuen erfahrbar machen, die dann symbolische Wirkung entfalten. Deswegen wird Krieg in der medialen Vermittlung oft über Held*innennarrative und die zugehörigen Geschichten von Resilienz oder Selbstaufopferung erzählt. Menschen können das Grauen besser begreifen, wenn es ein Gesicht und einen Namen bekommt. Auch in den sozialen Medien verbreiteten sich deswegen vor allem Berichte weiter, die stark an Individuen gebunden sind.
Dazu gehörte in den letzten Tagen auch der Twitter-Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dem zunächst oft belächelten ehemaligen Comedian und Fernsehstar (ein guter Beitrag zu seiner Wahl zum Präsidenten der Ukraine findet sich hier) kommt seine Erfahrung mit medialen Inszenierungen nun zugute. Seine im Selfiemode aufgenommenen Smartphone-Clips aus der Hauptstadt zeigen Präsenz und Führungsstärke, mit der er nicht nur die Menschen in der Ukraine motivieren kann, sondern auch international für ziemliche Begeisterung und Heledenverehrung gesorgt hat, verstärkt dadurch, dass er such auch mehrfach direkt an die Menschen außerhalb der Ukraine gerichtet hat. Geschickt live-tweetet er regelmäßig die Resultate seiner Gespräche mit unterschiedlichen Staatschef*innen und erhöht so zusätzlich den öffentlichen Druck für eine Unterstützung der Ukraine. Vermutlich wird in Zukunft der Twitter-Auftritt von Selenskyj als besonders gelungene Variante von Krisenkommunikation untersucht werden – und es verwundert deswegen auch nicht, dass Twitter mittlerweile in Russland gesperrt ist.
Der ukrainische Präsident taucht mittlerweile in zahlreichen Memes auf, die sich rasant verbreiten und wird in diesen Memes visuell oft anderen Staatschefs gegenüber gestellt, wie in folgendem Beispiel:
2.
Ein weiteres Beispiele für eine Erzählung, die rasch viral verbreitet wurde und auch zu eigenen Memes geführt hat, ist das vielfach geteilte Video mit einer Audiospur des Angriffes auf die Insel “Snake Island”. Die 13 dort stationierten Ukrainer*innen antworteten auf die Aufforderung sich zu ergeben mit “Russian warship, go fuck yourself”, wurden dann bombardiert und starben bei dem Angriff. Der Satz ist mittlerweile zu einem Meme geworden, mit dem die Solidarität mit der Ukraine ausgedrückt werden soll und hat es so sogar bis auf einen Cookie in Texas geschafft.
3.
Ein Tweet-Muster, das ich seit Donnerstag immer wieder gesehen habe, folgt in Abweichungen ungefähr diesem Format: “Er ist Milliardär / Millionär / sehr reich und könnte das Land verlassen, aber er tut es nicht.” Ob dabei von den Klitschko-Brüdern gesprochen wird, von dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj selbst oder dem ehemaligen Präsidenten Poroschenko, immer wieder wird darauf hingewiesen, dass keiner dieser Männer vor Ort sein müsste, aber sie dennoch bleiben.
Zweifelsohne ist der persönliche Einsatz und auch das individuell getragene Risiko dieser Personen beeindruckend und emotional berührend, weswegen sich Tweets mit diesem Format so sehr verbeiten, besonders wenn sie zusätzlich durch Videoclips begeleitet werden – von der ukrainischen Führung, die ihr Land nicht verlässt oder von Poroschenko mit Kalashnikow auf CNN. Es ist das beliebte Narrativ von ukrainischen Reichen und Superreichen, denen ihre Nation mehr wert ist als individueller Reichtum und eigene Sicherheit. Dieses Narrativ funktioniert in der Wahrnehmung auch als Gegenbild zu den russischen Oligarchen, die sich Putins Willen unterordnen. (Zu diesem Thema gehört peripher auch dieser virale Thread zu den Superyachten russischer Oligarchen und ihren Standorten.)
4.
Dieser Pornhub-Tweet hat sich auf Twitter extrem rasch verbreitet, obwohl er ein (lustiger) Fake ist. Die Timelines sind derzeit voll von strategisch, böswillig oder sorglos platzierten Fehlinformationen, während internationale Factchecker*innen intensiv daran arbeiten Bilder und Videos zu verifizieren. Wer sich für die massive Desinformation auf TikTok interessiert, kann bei Marcus Bösch in diesem Newsletter zahlreiche Beispiele finden.
Fakes werden anscheinend nicht nur zur Propaganda, zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung oder zur kriminellen Bereicherung an einem Kriegsgeschehen eingesetzt, sondern auch als ganz konkrete Strategie im Kriegsgeschehen selbst:
5.
Die Hilflosigkeit und Bestürzung vieler Menschen in den sozialen Medien hat (wie es oft bei katastrophalen Ereignissen der Fall ist) zu einer großen Welle an Solidarität geführt, bei der Menschen auch ganz konkret Geld verwenden wollten, um ihrer Unterstützung Ausdruck zu verleihen. Interessanterweise hat dieser auf extreme Art und Weise auch sozial-medial geführte Krieg dabei eine neue Dimension angenommen, die zumindest ich so zuvor noch nicht gesehen habe: das sozial-mediale Crowdfunding von Kriegskosten (auch zu diesem Thema gab es übrigens Fehlinformationen). Der offizielle Twitter-Account der Ukraine hat beispielsweise am Freitag auch internationale Privatpersonen um Spenden für den Kampf gegen Russland gebeten.
Doch nicht nur die Kosten des Krieges werden teilweise gecrowdfunded, der Rückgriff auf die Crowd im Internet hat noch eine viel dunklere Seite: Das russische Militär verwendet billig bezahlte Crowdworker*innen für den direkten Einsatz in der strategischen Angriffsplanung:
6.
Die letzten Tage waren auch in den sozialen Medien überweigend keine guten Tage, viele Menschen haben Pausen eingelegt oder wahlweise Doom-Scrolling als Strategie für ihren Umgang mit der Krise verwendet. Besonders die Funktion von Twitter als Möglichkeit auf die eigene politische Führung einzuwirken, Protest zu äußern und das oft verzweifelte Gefühl zumindest mit solchen Tweets etwas beitragen zu können, führen dazu, dass Menschen sehr viel Zeit in ihrer Timline verbringen und so den Krieg quasi in Echtzeit miterleben.
Diese permanente Überflutung mit Nachrichten stellt jedoch auch eine psychische Belastung dar und niemand sollte sich zu permanenter und instantaner Zeug*innenschaft von Elend und Leid verpflichtet fühlen.
Gleichzeitig kann das sorgenvolle und beinahe obsessive Scrollen und Klicken für manche auch eine Möglichkeit sein, der aktuellen Situation mit zumindest gefühlter Handlungsmacht zu begegnen. Man setzt sich bewusst den Informationen aus, weil man dadurch das Gefühl gewinnt zumindest den Nachrichtenstrom kontrollieren zu können.
Es wird uns in den nächsten Tagen und Wochen nichts anderes übrig bleiben, als für uns selbst ganz individuell einen Weg durch die Realität eines auch in den sozialen Medien geführten Krieges zu finden. Was jedoch jede einzelne Person aktuell tun sollte, ist zumindest die eigenen Äußerungen, Retweets und Beiträge kritisch zu betrachten, sich zu fragen, ob sie notwendig und empathisch sind oder ob sie vielleicht sogar falsche Informationen streuen. Denn bloß weil ein Krieg auch in den sozialen Medien stattfindet, heißt das noch lange nicht, dass sich alle permanent an dem zugehörigen Kommunikationsstrom beteiligen müssen – Ein Krieg ist kein Prosumer-Ereignis.
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Großartige Übersicht, was gerade (von der Meta-Ebene aus betrachtet) in den Sozialen Medien zur Russland-Krise kommuniziert wird. Danke dafür! 👍