Über Krähen, Twitternovelas und Flugzeuge
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Es ist das letzte Wochenende bevor am Donnerstag mein zweiter Roman “Automaton” erscheint. (Das Buch handelt von Crowdworker*innen, deren prekären Arbeitsbedingungen und der Frage, wie man eigentlich von Künstlicher Intelligenz erzählen kann – außerdem geht es um virtuelle Freundschaft und Solidarität.) Die Zeitphase zwischen der Fertigstellung eines Manuskriptes und der Veröffentlichung ist für mich zunächst sehr entspannt, als hätte man ein schönes Geheimnis, das man noch mit niemandem teilen muss. Im Gegensatz dazu sind die Tage kurz vor dem Erscheinungstermin eher anstrengend vor lauter Aufregung und Lampenfieber.
Neben all dem Buchwirbelwind bin ich gespannt, wovon der Newsletter am nächsten Sonntag handeln wird. Seitdem ich die ganze Woche die Augen nach Themen aufhalte, habe ich noch mehr das Gefühl, dass einfach wahnsinnig viel passiert. (Das passt übrigens zu dem sehr analogen Witz, dass sich lustigerweise immer genausoviel ereignet, dass die Zeitungen voll werden).
Nach den Politik-Memes der letzten Wochen habe ich in dieser Woche beschlossen, dass ich das Putin-Langer-Tisch-Meme aussitzen (höhö) werde. Für alle Interessierten ist hier aber ein Meta-Thread mit zahlreichen guten Beispielen.
1.
Es stürmt über Europa und die Orkanböen reichen bis in die Timelines, beispielsweise mit dem überraschenden viralen Erfolg des Youtube-Accounts BigJetTV (betrieben von den Privatpersonen “Jerry and Gilly”) der Live die extrem wackeligen Landungen großer Flugzeuge am Heathrow Airport im starken Sturm gestreamed und kommentiert hat. Teilweise folgten dem Spekatakel über 200.000 Zuschauer*innen.
Wie häufig bei solchen viralen Internetereignissen sprangen auch die etablierten Medien auf den Zug auf, was während des Live-Streams und im Live-Chat auch entsprechend kommentiert wurde.
Wenn Personen mit viralem Erfolg in die Öffentlichkeit gedrückt werden, wartet man eigentlich nur noch darauf, dass sie sich in Milkshake Ducks verwandeln. Mit der großen Öffentlichkeit kommen fast immer auch Berichte und Tweets, in denen es daraum geht, dass die nun plötzlich so sichtbaren Personen überhaupt nicht so sympathisch oder nett sind, wie sie initial erschienen.
In Bezug auf die viralen Flugzeuglandungen waren wir auch schon rasch an dem Punkt viraler Ereignisse, bei dem die Trends des Tages (Sturm, Wordle und Big Jet TV) in Tweets vermischt oder mit früheren Memes rekombiniert werden:
2.
Virtuelle Kontakte, viraler Content und in der Timeline auftauchende persönliche Geschichten haben eines gemeinsam: Nicht immer ist sicher, ob es sich dabei um real verfizierbare Fakten, existierende Personen oder wirkliche Ereignisse handelt. Das Internet ist voll von Gruselgeschichten – vielleicht ist es sogar eine der großen Schauererzählungen der Gegenwart – über Entlarvungen und Kontakte, die sich später als Fake herausstellten.
Es gibt auch neue Begriffe und Konzepte, die diesen mit dem Internet zusammenhängenden Grusel beschreiben, beispielsweise Catfishing, das gezielte Umwerben einer Person, indem eine gefälschten Online-Identität aufgebaut wird, oder der Begriff Sockpuppets (Sockenpuppen), mit dem das Phänomen beschreiben wird, dass eine Person mehrere Accounts bespielt, um die eigene Position relevanter wirken zu lassen oder Einfluss auf Debatten auszuüben.
Vertrauen und Misstrauen sind Währungen im Online-Diskurs und oftmals bekämpfen sich unter Fake-Vorwürfen die empathisch Vertrauensseeligen mit den zynisch Abgeklärten und werfen sich wahlweise fehlendes Mitgefühl oder Naivität vor. Fakes und Vertrauensmissbrauch als eine der Grundkonstanten unseres Online-Lebens stellen eine Herausforderung dar, denn es kann extrem verletzend sein, wenn eine eigene Leidensgeschichte oder auch nur fröhliche Familienanekdote mit dem Fake-Vorwurf versehen wird.
Auf der anderen Seite ist eine gewisse Grundskepsis bei besonders offensiv auf Clicks und Aufmerksamkeit abzielendem Content durchaus angebracht, denn immer wieder fallen Menschen gutherzig auf betrügerische Personen hinein, die eine besonders starke emotioanle Klaviatur bespielen, Twitternovelas oder Social Media Seifenopern produzieren. Es gibt unterschiedliche Motivationen viralen Content in den sozialen Medien zu “faken”. Offensichtlichere, wie das Einwerben von Spendengeldern für angebliche große persönliche Krisen, die klar betrügerisch sind, aber auch weniger offensichtliche Motivationen, wie der Aufbau von Einfluss oder Reichweite (”to farm clout”).
In Reddit-Foren wird beispielsweise sehr viel getrollt und es gibt bereits Artikel dazu, die untersuchen, warum Menschen Fake-Geschichten in Subreddits wie r/AmItheAsshole oder in r/relationships posten.
In diesen Artikeln wird beispielsweise anhand von solchen Fake-Geschichten über die Impulse nachgedacht Stories zu schreiben, mit denen die Reziperenden absichtlich in die Irre geführt werden und die Frage gestellt, welche Funktion solche Fakes im Online-Diskurs haben:
“Otherwise, she’d just write literature, of course. But a novel doesn’t create the same kind of living tension, with virtual communities passing it around in hopes of understanding its provenance. The way I see it, trickster trolls like CHH perform a valuable, often invisible service, rhetorically asking us how gullible we wish to be and why we are so eager to take the absurd at face value. And as you can’t say with certainty that you’ve never fallen for one of these posts, you have to accept that your experience of the web will always be partly illusory — the result of a stranger’s private joke.” (Miles Klee: “The Queen of Fake Reddit Stories Is Here to Show You How to Troll.” MEL)
3.
Dieser sehr lustige Photoshop-Job tauchte in meiner Timeline auf und löste eine kleine Recherche zu Walter Benjamin und NFTs aus, die mich aktuell etwas ratlos zurücklässt. Es gibt zu dem Thema derartig viele Beiträge, Artikel, Tweets und Videos, dass man wohl mit gutem Gewissen sagen kann, dass Benjamin eine Art Maskottchen für NFT und Crypto-Kunst ist. Interessanterweise werden Benjamins Überlegungen zur Aura und zur Reproduzierbarkeit des Kunstwerks sowohl für als auch gegen NFTs verwendet:
“This aura is ultimately what separates an NFT on Ethereum from a JPEG on your hard drive – but in a radically different way than the aura of a painting. NFTs, after all, aren’t painstakingly hand-painted onto a canvas, but they aren’t copies of anything, either.” (David Z. Morris: “Art in the Age of Digital Scarcity: Why NFTs Enchant Us” CoinDesk, 30.8.2021)
Vermutlich könnte man aus reinen Screenshots von Artikeln eine schöne Collage zu NFTs, kreativer Produktion in Times of Crypto und dem Aura-Begriff in post-digitaler Zeit machen. Auf der Plattform Open Sea gibt es übrigens aktuell 53 NFTs, die zu dem Schlagwort “Walter Benjamin” gefunden werden können.
Wer mir auf den sozialen Medien folgt, weiß vermutlich mittlerweile, dass ich mich mit einem Raben in meinem Viertel befreundet habe – die Freundschaft ist ehrlich gesagt etwas einseitig, ich versuche ihn zu fotografieren und er fliegt fort, sobald er mein Smartphone sieht (aber manchmal klappt es). Da ich Raben und Krähen sehr gerne mag, freue ich mich immer, wenn guter Corvus-Content durch meine Timeline fliegt (auftauchen fühlte sich hier wie das falsche Verb an) und dazu gehört auch dieser grandiose Clip einer Krähe, die wirklich viele Kekse in ihren Schnabel nehmen kann. Kekse und Krähen, was will man mehr?
Vielleicht wollt ihr außerdem ein Titanic-Remake mit einer Katze sehen? Hier ist der Trailer. Außerdem gab es hier einen guten Bitcoin-Tweet und hier einen Tweet mit dem Bild eines (gefälschten?) Vampirjägerkoffers auf einem Flohmarkt.
Für alle, die sich für Eurovision interessieren (es ist wirklich ein Riesending in Skandinavien) gibt es hier eine Playlist mit allen isländischen Beiträge, die gerade in einem Vorentscheid ausgewählt werden.
Mit dieser sehr guten Aufnahme eines Schafes im Sturm wünsche ich euch ein schönes und nicht ganz so stürmisches Wochenende. Wenn ihr diesen Newsletter gerne lest, dann bin ich euch für Weiterempfehlungen wirklich dankbar.
Für die Zeit bis zum nächsten Newsletter findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram – ich verspreche auch hoch und heilig, dass ich euch nicht allzusehr mit meiner Romanvorfreude stressen werde.