Über globale Selbsthypnose, Papageien und Sad Angela Merkel
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An diesem Wochenende ist Wahl nicht nur in Deutschland sondern auch in Island. (Warum die isländische Wahl auch international beachtet werden sollte und was das mit Grönland zu tun hat, habe ich hier kurz aufgeschrieben). Passend zum deutschen Wahlsonntag und zum isländischen Wahlsamstag habe ich zwei Themen für diesen Newsletter ausgesucht: Merkel-Memes und Affirmation-Memes.
Allen, die stattdessen etwas ganz anderes lesen möchten, empfehle hier ganz einfach meinen Thread über ein tolles Chaos verursachendes 800-Kilo Walross und seine Reise nach Island.
1.
Instagram ist seit Monaten voll mit Accounts, die verschiedenste Variationen von Aspiration-Memes teilen. Der größte Account heißt passenderweise ganz einfach “Affirmations” und hat beinahe 800.000 Follower*innen. Es gibt aber darüber hinaus aber noch zahlreiche weitere Accounts, die – genauso wie “Affirmations” auch – Anleihen an den Stil der klassischen Advice Animal Image Macros machen. Das heißt ein großes zentrales Bild wird mit Über- und Unterschrift kombiniert, aber die verwendeten Bilder werden durch Farb- und Blureffekte sehr stark verfremdt (Dank Memes anyone?). Die Affirmation Memes knüpfen so ästhetisch an die weirden / surrealen Memes an, die manchmal auch als typische Gen Z Memes bezeichnet werden.
Interessant an den Affirmation-Memes ist, dass sie sich sowohl volkkommen ironisch als auch genuin ernsthaft deuten lassen. Nit den Textzeilen knüpfen sie mühelos an aktuelle Self-Care Diskurse an, diese werden aber zeitgleich in der übersteuerten knallbunten Gestaltung der Bilder auch parodiert.
Hinter dem supererfolgreichen Affirmations-Account steht übrigens ein junger Norweger, der nicht nur behauptet, dass sein Account völlig ernst gemein sei, sondern zu allem Überfluss auch noch Verbindungen zu dem norwegischen Schriftsteller Knausgaard zieht (was natürlich auch als Parodie gelesen werden kann):
You know the Norwegian author, Karl Ove Knausgaard? He said that, concerning his work and the works of authors in general, that the writer, he has his understanding and analysis, and the reader has his own understanding and an analysis. It's like this mutual exchange.
That’s why I don't get offended when people call it “memes.” They are more than welcome to do so, because as I said, it's open for interpretation. People can do whatever they like to the pictures, think however they would like about the pictures. But I don't consider it to be memes. I consider it to be very high art, because it's a concept I’ve thought through a lot. (Katie Way: “This Radical Gratitude Instagram Account Is the Antidote to Self-Help Gloom” in Vice, 4.3.2021)
Diese Aussage lässt sich, genau wie die vom Account geteilten Bilder, ebenfalls als ironisch oder nicht-ironisch lesen, bleibt also völlig uneindeutig zwischen Satire und Ernsthaftigkeit verortet. The Philosopher’s Meme bezeichnet genau wegen dieser nicht vorhandenen Eindeutigkeit und oft auch Unverständlichkeit die Phase ab 2019 als Zeit der post-ironischen Memes. Vielleicht ist die fehlende Definierbarkeit und die Geschwindigkeit, mit der mittlerweile ästhetische Phänomene online auftauchen und wieder verschwinden, auch eine der Ursachen, dass es immer schwieriger und unsinniger (?) wird Memes zu erklären und zu archivieren:
I have long given up on chronicling the latest internet trends, even for my own interests. It has become nearly an impossible task — to imbue proper context and meaning upon the heaps of virtual flotsam that fill up our feeds and timelines. The evolution of virality — its potential among users and how social platforms encourage it — has led me to rethink how I approach internet coverage in the past year. Is every new catchphrase or rediscovered bop worth micro-analyzing? Or is the accelerating vortex of online content — and its impact on our capital-C culture — reflective of something broader? (Terry Nguyen: “Watch this space. It's my pink brain vomit.” 18.1.2021)
2.
Bereits im Oktober 2016 wurde das Sad Pablo Escobar Meme als Template bei Meme Generator geteilt. Das Bild verbindet drei Aufnahmen aus der Netflix-Serie Narcos, die die Figur Pablo Escobar mit leer-traurigem Blick auf einer Hollywood-Schaukel, an einem Tisch und in einem leeren Swimming Pool zeigen und verbreitete sich in den folgenden Jahren in immer neuen Wellen.
“Sad XY”-Memes sind generell sehr beliebt und es kommen immer wieder neue hinzu. Es gibt beispielsweise Sad Keanu, Sad Affleck, Sad Taylor Swift, Sad Batman, Sad Joe Biden und noch einige andere. Vielleicht finden wir uns besonders in Bildern trauriger und einsamer Menschen wieder oder müssen eben diese Gefühle zum Gegenstand von Humor machen, um sie besser auszuhalten? Passend zur Wahl am Sonntag, die auch das Ende von Angela Merkels langer Amtszeit bedeutet, zirkulieren gerade auch wieder Merkel-Variationen des Escobar Memes, die bereits populär waren, als Angela Merkel im Frühjahr 2020 in Corona Quarantäne musste.
Bilder von Angela Merkel wurden während ihrer Amtszeit – nicht nur aufgrund ihrer Rautenhandhaltung – immer wieder zum Meme, besonders ihre Interaktionen mit den US-amerikanischen Präsidenten in Aufnahmen von politischen Großereignissen sorgten für Resonanz. Vielleicht erinnert sich noch jemand an diese Gipfeltreffen-Bilder und ihre rasche Verbreitung im Internet:
Die Rolle, die ihr immer wieder in der Bildsprache dieser Memes zugewiesen wurde, steht oft im Zusammenhang mit dem für sie verwendeten Label “Mutti”: Merkel als freundliche aber strenge Autorität, die besonders im Umgang mit Trump mit verzweifelten Gesten agiert, wie man sie vielleicht gegenüber einem trotzigen Kind zeigen würde. Inwieweit die mit der Kanzlerin assoziierten Memes und das darin erzeugte Bild von ihr auch von einer Analyse der Effizienz ihrer Politik abgelenkt und ein Bild geprägt haben, das eigentlich nur wenig mit der von ihr in der Realität umgesetzten Politik zu tun hat, wird hoffentlich irgendwann noch Gegenstand politikwissenschaftlicher Analysen werden.
Zum Ende ihrer Amtszeit hat uns Angela Merkel übrigens mit Aufnahmen aus einem Vogelpark in Mecklenburg-Vorpommern noch ein weiteres beliebtes Meme beschert:
Hier habe ich in der letzten Woche ein sehr gutes Bild gesehen, das verdeutlicht, wie wir Software gleichzeitig in völlig verschiedene Registern verwenden, von absoluter Profanität bis hin zu sehr existentiellen Überlegungen. In diesem Tweet wurde nach Memes gefragt, die wirklich lustig sind und vielleicht können wir die vielen Antworten an diesem Sonntag gebrauchen? Ich glaube diese Antwort hier ist mein Favorit. Außerdem habe ich in der letzten Woche gelernt, dass es Toilettenschüsseln gibt, die aussehen wie Totenköpfe.
Zum Abschluss dieses Newsletters findet ihr hier ein schönes Twitter-Herbstgedicht. Ich wünsche uns einen guten Wahlsonntag und danke euch ganz herzlich für die freundlichen Nachrichten, die mich nach dem letzten Newsletter erreicht haben.
Wenn euch dieser Newsletter gefällt oder ihr Menschen kennt, die sich ebenfalls über eine sonntägliche eMail freuen würden, dann bin ich euch wie immer für Weiterempfehlungen dankbar. Für den Rest der Woche findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram.