Über Festnahmen, Roboterhunde und Ohrfeigen
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Vorgestern war der erste April und damit die Social Media Zeit für Aprilscherze und Tweets von Menschen, die auf Scherze hineinfallen und den dazugehörigen Kommentaren, die auf den Aprilscherz hinweisen – ein jährlicher Loop. Mir persönlich gefielen Elon Musks Theaterpläne für den Mars und Karl Marx als Ape NFT besonders gut.
Es gab außerdem einen wirklich interessanten investigativen Beitrag der Washington Post zu den Plänen von Meta (zuvor als Facebook bekannt) die Konkurrenz von TikTok mit einer absichtlichlich geschürte Medienpanik zu schwächen. Für mich wirft der Artikel besonders deutlich die Frage auf, wie
viel der Berichterstattung über Social Media und Online-Phänomene im Kontext von Marketing und PR der Tech-Riesen entsteht.
1.
Es ist mittlerweile sicher niemandem mehr entgangen, dass der Schauspieler Will Smith bei der diesjährigen Oscar-Verleihung den Komiker Chris Rock geohrfeigt hat, nachdem dieser einen Witz über die Krankheit seiner Frau gemacht hat. (Nur kurz davor hatte breits die deutschsprachige Twitter-Landschaft mit Reaktionen auf ein Video rotiert, in dem der deutsche “Komiker” Oliver Pocher geohrfeigt wurde.)
Das Internet ist natürlich sofort mit unzähligen Remixes, Supercuts und Memes in unterschiedlichsten Varianten explodiert. Die Parallele der Ohrfeigenbilder zum Batman/Robin-Meme, das bereits seit fast 15 Jahren erfolgreich zirkuliert, halfen dem “Will Smith Slapping Chris Rock”-Meme zusätzlich bei der Verbreitung.
Spannend war jedoch bei dem TV-Moment, dem quasi zeitgleich entstehenden Meme und den dazu geäußerten Kommentaren, dass die Angst vor der diskursiven Verarbeitung des Moments zu einem klaren Teil des Memes selbst wurde, einer Art Meta-Meme. Ryan Broderick schreibt dazu:
“Instead, what I find more interesting is the viral pre-exhaustion that users described feeling immediately after the slap. The dread and anticipatory boredom at the idea that this will dominate the national conversation for at least the next three days, the next week if Smith or Rock comment on it further, or the next month if some kind of governing body — either America’s or Hollywood’s — gets involved.” (Garbage Day, 28.3.2022)
Und tatsächlich hat die Presse diese Erwartungen nicht enttäuscht. Es gab sogar im deutschsprachigen Raum mehrere Beiträge und die entsprechende Reaktion darauf in den sozialen Medien – der Kreislauf befeuert sich wechselseitig.
Besonders unangenehm waren die Artikel, in denen die Oscar-Ohrfeige ernsthaft mit dem Krieg in der Ukraine in einer Art Super-Context-Collapse zusammengedacht wurde (hier noch ein weiteres Beispiel):
Fernsehskandalmomente werden instantan zum Meme, Memes werden sofort zu Diskurs und am Ende wird in einem großen Topf alles zu einem Brei gerührt und plötzlich wird eine Ohrfeige mit einem Angriffskrieg parallel gesetzt. Es sind Momente wie diese, die aktuell immer häufiger passieren und mich tatsächlich sprachlos zurücklassen – oder um es mit anderen Worten zu sagen:
2.
Vor einigen Tagen gab es einen viralen Thread mit Bildern von Cosplayer*innen, die von der Polizei festgenommen wurden. Solche Bilder sind auf Reddit seit Jahren ziemlich beliebt, weil es natürlich lustig ist beliebte Figuren aus Fiktionen in sehr realweltlich anmutenden Situationen zu sehen. Aufnahmen von Cosplayern werden deswegen auch immer mal wieder zur Quelle von Memes.
Ich fand den Twitter-Thread jedoch besonders interessant, weil dort zahlreiche der auf den Bildern dargestellten Personen in den Drukos auftauchten und zu den Aufnahmen von sich Stellung bezogen.
Wenn Inhalte ausreichend weit verbreitet werden, erhöht sich die Chance immer mehr, dass sich die auf den Bildern oder in den memes dargestellten Personen irgendwann zu Wort melden und versuchen ihrer Version des Abgebildeten Geltung zu verschaffen.
Es ist wohl so, dass man auf zahlreichen Conventions dafür bezahlen kann sich für Fotoaufnahmen von der “Polizei” festnehmen zu lassen. Ein Teil der geteilten Bilder stellt also gar keine realen Festnahmesituationen dar, was aber durch den fehlenden Kontext der Aufnahmen vollkommen unklar bleibt. Der virale Erfolg der Bilder liegt ja gerade daran, dass viele der Rezipierenden der Meinung sind es mit echten Festnahmen zu tun zu haben und nicht mit gestellten Fällen. Auch das Bild der angeblich cosplayenden Elsa-Figur ist wohl nur aus einer zugegebenermaßen ziemlich absurden Marketing-Aktion der Polizei entnommen.
In den Kommentaren zu dem viralen Tweet zeigt sich auch wieder, welchen hohen individuellen Preis manche Menschen dafür bezahlen müssen, wenn ihre Bilder zweckentfremdet und zu einem Meme werden:
3.
Screenshots eines Hausrundgangs der us-amerikanischen Sängerin und Schauspielerin Ashley Tisdale sorgten für viel Lärm auf Twitter, weil sie in der Aufnahme überraschend ehrlich erzählt, dass sie ihren Ehemann losschickte um 400 Bücher zu kaufen, um ihre Bücherregale fotogen zu füllen. In den Kommentaren zum Tweet sammelten sich unterschiedlichste Reaktionen: Verweise auf andere Anlässe zu denen Bücherrgale im großen Stil zu Dekorationszwecken befüllt werden, Erstaunen, Neid auf die finanzielle Möglichkeit soviele Bücher aufeinmal zu kaufen, Verweise auf die Bücher in IKEA-Filialen und sehr viel mehr. Sogar die abgebildete Tisdale meldete sich aufgrund dieses Sturms im Twitterglas schließlich zu Wort:
Dieses Video eines Roboterhundes, der in Shanghai mit einem Lautsprecher die sich im Lockdown befindenden Bürger*innen über den Stand der Pandemie informiert, fand ich ausgesprochen faszinierend, wenn es auch von manchen als dystopisch gedeutet wurde.
Die von der Bild-Zeitung geteilte Aufnahme von einem winzig wirkenden Olaf Scholz neben dem riesig groß und breitbeinig stehenden Vladimir Klitschko ist aufgrund des extremen Gegensatzes der beiden Personen wirklich die beste Vorlage für Memes und wurde natürlich auch rasch so auch verwendet. Warum dieses Bild in den sozialen Medien so erfolgreich ist, was das Interesse der Bild-Zeitung bei der Verbreitung dieses Bildes ist und wie die Verwendung als Memes wieder ultratraditionelle Männlihckeitskonzepte befeuert – dazu könnte man einen langen Text schreiben.
In der Oscar-Nacht entstand neben den Backpfeifen-Bildern übrigens auch noch dieses schöne Variante des Robert Pattinson Memes.
Mit diesem sehr guten TikTok-Film voller Sylvanian Families Figuren wünsche ich euch einen schönen Sonntag. In der nächsten Woche findet ihr mich wie immer auf Twitter, Instagram oder TikTok.