Über Fakes, historische Selfies und den Meme-Messias
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Man macht sich vermutlich keine Illusionen, dass man in den sozialen Medien seine Zeit auf Plattformen verbringt, die im Besitz konkurrierenden Unternehmen sind. Im Alltag kann das jedoch in Vergessenheit geraten. Wenn diese Unternehmen dann jedoch ihre Konkurrenzkämpfe auf Kosten der frei fließenden Kommunikation auf den Plattformen intensivieren, wird es einem wieder sehr deutlich vor Augen geführt. Auf Twitter werden aktuell Tweets mit Links zu Substack massiv in der Funktion eingeschränkt, man kann sie nicht retweeten oder faven und auch nicht mit ihnen interagieren. Grund für diese Beschränkung ist die neue “Notes”-Funktion von Substack, die sehr stark Twitter ähnelt und deswegen (zurecht!) als Konkurrenz wahrgenommen wird.
Aus diesem Grund hat Twitter auch die Embedding-Funktion von Tweets in Substack-Newslettern eingeschränkt. In vergangenen Ausgaben funktionieren diese Links zwar noch, aber es lassen sich keine Neuen einfügen. Ein aktueller work-around ist die Tweets zu screenshotten und zu verlinken. Das handhabe ich übrigens schon immer so, weil ich mit diesem Newsletter auch versuche Internetmomente zu archivieren und eingefügte Tweets davon abhängig sind, dass der Account auch weiterhin existiert – was in den sozialen Medien alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Zwischenfazit der aktuellen Entwicklung: Der Konkurrenzkampf der Plattformen wird unerbittlicher und die Interessen der User*innen sind dabei – wie zu erwarten – vollkommen nachrangig.
Für all die Menschen, die regelmäßig auf Substack Inhalte produzieren, ist diese neute Sperre auf Twitter tatsächlich eine ziemliche Katastrophe, wie überhaupt die Turbulenzen auf Twitter viele frei arbeitende Künstler*innen, die extrem auf Sichtbarkeit und Reichweite angewiesen sind, nachhaltig beschädigen.
1.
Passend zum Osterwochenende wird im deutschsprachigen Twitter in einem alljährlichen Ritual regelmäßig über das Karfreitags-Tanzverbot diskutiert. Manche der Takes zum Thema sind auch ähnlich angelaufen wie ein Osterei aus dem Vorjahr, dass man ein Jahr später zufällig im Bücherregal entdeckt hat. (Ich spreche selbstverständlich nicht aus Erfahrung mit in Regalen vergessenen Schokoladenprodukten).
In diesem Jahr fiel mir jedoch auf, dass tatsächlich einige der Tanzverbot-Tweets mit AI generierten Bildern arbeiteten. Midjourney und StabelDiffusion sind nun also auch im Tanzverbotsdiskussionsmainstream angekommen. Dabei ist das Osterwochenende eigentlich eine gute Gelegenheit für Posts über den Meme-Messias, der bei KnowYourMeme sogar einen eigenen Eintrag mit dem Titel “LOL Jesus” hat. Vielleicht erinnert sich sogar noch jemand an das schöne und mittlerweile locker zahn Jahre alte [Insert: Kurzer WTF-Moment, die Zeit macht woosh] Story Time Jesus-Meme:
2.
In der letzten Woche rotierte mal wieder die Entlarvung eines Fake-Accounts durch die Twitter-Timelines (wer länger in den sozialen Medien unterwegs ist wird unweigerlich früher oder später solchen Enttarnungen beiwohnen). Dem Account @JuleStinkesocke, der seit vielen Jahren und mit großem Publikum via Blog und Twitter aus dem Leben einer rollstuhlfahrenden Frau berichtet und damit als angeblich marginalisierte Stimme viel Reichweite erreichte, wurden zahlreiche Unstimmigkeiten nachgewiesen. Zurecht sind viele Menschen deswegen wütend und enttäuscht. Die Aufmerksamkeit für diese Enttarnung strahlte über die Plattform hinaus und sorgte sogar für einige Beiträge in den etablierten Medien, was zu Perlen wie diesem unfreiweillig komischen Satz führte: “Klar ist: Die Glaubwürdigkeit von Jule Stinkesocke hat schweren Schaden genommen und vor allem bei Twitter sind viele Nutzer sauer…” Mehr zu dem konkreten Fall und Fakes im Internet allgemein kann man übrigens in diesem guten Text von Özge İnan lesen.
Ich finde es grundsätzlich faszinierend, mit welcher Verhemenz in bestimmten Sphären von Twitter sehr gefühlige und oft doch recht offensichtlich der Fiktion nahe stehende Accounts als authentisch verteidigt werden, selbst nachdem sie enttarnt worden sind oder Ungereimtheiten immer auffälliger werden. Eine sehr gute Übersicht der Argumente mit denen diese Accounts dann von User*innen rechtfertigt werden, die ihnen über Jahre folgten und vielleicht auch wirklich emotionale Energie und Geld investiert haben, hat @octodontidae zusammegestellt:
Eigentlich würde man ja vermuten, dass es Internet 1x1 ist, nicht überprüfbaren Selbstinformationen anonymer Accounts erstmal kein Vertrauen zu schenken. Wir wollen aber in den sozialen Medien auch unterhalten werden und ich vermute, dass es dabei tatsächlich für viele gar nicht an erster Stelle relevant ist, ob die geposteten Geschichten überhaupt stimmen. Ein gutes Beispiel für eine Willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit.
Der Jule Stinkesocke Fall hat übrigens auch schön gezeigt, dass es noch nicht funktioniert Nachrichtenbeiträge von AI generieren zu lassen, auch wenn der große Medienkonzern Ippen.Media das aktuell versucht.
3.
Ich mag das “Historical-Selfie”-AIBild-Genre recht gerne, weil der Bruch von Vergangenheitsästhetik und Gegenwartskonvention einem so schön und auf mehreren Ebenen neue technische Möglichkeiten vorführt. Noch besser finde ich jedoch, wenn diese generierten Bilder noch mit Gegenwartssprachästhetik kombiniert werden:
In eigener Sache:
Ich habe für den Deutschlandfunk einen Radiobeitrag über ChatGPT und kleine Sprachen aufgenommen, denn es gab da einige interessante Entwicklungen in den letzten Wochen.
Hier ist eine schöne Tinder-Horrorstory in zwei Sätzen. Diesen Tweet und die darunter gesammelten Kommentare mit zahlreichen Erinnerungen an verschiedene Barbie-Spielwelten mögt ihr sicher gerne lesen. Mit den zu diesem Tweet gehörenden vielen und oft sehr lustigen unpopulären Thesen über Bücher könnt ihr einiges an Zeit totschlagen, in der ihr sonst Bücher lesen würdet.
Mit diesem sehr guten Video über das erste Treffen mit einer Eule wünsche ich euch erholsame Feiertage. Ihr findet mich auf Twitter, Mastodon, Instagram oder TikTok. Für längere Gespräche über AI, Tech, Bücher und das Schreiben ingesamt bin ich aktuell häufig im 54books-Discord zu finden und freue mich euch da zu treffen!