Über eingeschneite Häuser, Risikobots und Katzen
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Ich habe in den letzten Wochen nicht nur meine Covid-Infektion halbwegs überstanden, sondern auch meine Buchpremiere wegen Post-Covid-Erschöpfung absagen müssen (es fühlt sich immer noch ein bisschen traurig an) und einige Tage später zumindest eine Mini-Buchpremiere auf dem blauen Sofa in Leipzig feiern dürfen. Außerdem habe ich hier und da gelesen und dazwischen viel Zeit in Zügen und an Bahnhöfen verbracht und mich – wie so oft – über die Internetwüsten in manchen Regionen Deutschlands gewundert. Das bedeutet in diesem Sonntagsnewsletter werde ich nur teilweise ganz konkret in die Timelines der vergangenen Woche schauen, weil ich dazu einfach zu wenig Zeit mit Scrollen verbracht habe.
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nimmt weiterhin viel Raum in den sozialen Medien ein. Meiner Meinung nach ist aber der monothematische Imperativ der ersten Wochen langsam am Abflauen, das bedeutet, die Timelines kehren langsam zu einer alltäglichen Mischung aus Quatsch, politischen Wutreden, Shitposts, Beiträgen zu anderen Themen und gewöhnlichem Blabla zurück. Immer wieder werden diese Posts jedoch von Tweets unterbrochen, in denen das furchtbare Elend der Menschen in der Ukraine wieder in den Vordergrund drängt, über die daraus entstehende Dissonanz habe ich ja bereits in den vergangenen Newslettern gesprochen.
Wie bei vielen anderen wichtigen Themen ist der sukzessive Verlust der Online-Aufmerksamkeit genauso tragisch wie unvermeidlich und ich bin selbst unschlüssig, wie man eigentlich auch im virtuellen Raum als dominierendem Ort kommunikativer Öffentlichkeit der großen Vielfalt globaler Krisen und drohender Katastrophen gerecht werden soll, ohne dabei den auch notwendigen Raum für Ablenkung, Unterhaltung und Freude zu verlieren. Vielleicht ist diese permanente und parallel stattfindende Kommunikation wirklich einfach genauso zeitgleich Plage und Horror wie Inspiration und Freude.
1.
Das in diesem Tweet geteilte Video zeigt einen sehr jungen Wolodymyr Selenskyj, der einen Witz über Putin macht. Nach einem Schnitt sieht man Putin in einem Publikum sitzend, mit leicht gezwungen wirkendem Lächeln aber ohne zu klatschen. Zunächst wurde der Clip mit dem Satz “Der Anfang vom Ende” (Початок кінця) von dem ukrainischen Musiker Eugene Tymchyk auf Twitter geteilt und verbreitete sich davon ausgehend sehr schnell. Unter mehreren der Quote-Retweets kommentierten bereits Menschen einen Link zu dem Originalvideo, in welche die Aufnahme des wenig amüsiert wirkenden Putin wohl hineingeschnitten wurde. Das vielfach geteilte Video ist wohl ein Fake, dessen Inhalt offensichtlich sehr stark die Bedürfnisse vieler Menschen erfüllt und entsprechend wird reagiert, geclickt und geteilt.
Interessant ist hier vor allem, dass sich vermutlich die Rezeption und Deutung des Tweets in Bezug darauf unterscheidet, ob die ihn verbreitenden Menschen den Fake durchschauen oder nicht. Es ist eigentlich relativ einfach das Video zu verifizieren und vermutlich ist es einigen Menschen, die es retweeten und verbreiten sogar klar, dass die Putin-Aufnahmen hineingeschnitten wurden. Für diejenigen, die das Video also als offensichtlichen Witz teilen, erfüllt die Gegenüberstellung des jungen Selenskyj mit dem humorlosen Putin eine Funktion: Sie zeigt den Gegensatz der beiden Regierungschefs. Der eine ist jung, dynamisch und witzig, der andere lächelt gezwungen. Das Video macht nebenbei auch deutlich, dass Selenskyj bereits vor vielen Jahren mutig Putin-Witze machte.
Das internationale Publikum teilt das Video aus anderen Gründen, rahmt es als Entdeckung und steigt begeistert auf die Lesart ein, dass der aktuelle Krieg eine historische Tiefendimension hat, dass Putin so kleinlich und bösartig ist, dass er Jahre später auf den Witz eines Komikers mit einem Angriffskrieg reagiert. Fakes und Propaganda dieser Art kursieren aktuell in großer Zahl und werden meist relativ zeitnah entlarvt und kritisiert, auch wenn sie dann oft schon eine virale Zirkulation angetreten haben, die sich kaum noch stoppen lässt.
Der kritische Umgang mit den sozialen Medien in Kriegszeiten erfordert also nicht nur eigene Verifikationskompetenz sondern auch eine (selbst)kritische Auseinandersetzung mit den Geschichten, die über viral geteilte Inhalte vermittelt werden und damit, welche Funktionen diese Geschichten erfüllen. Medienkompetenz ist in den sozialen Medien immer auch Deutungskompetenz.
2.
In der letzten Woche habe ich einige virale Katzenvideos gesehen, weil das Internet auch 2022 weiterhin Tiere und ganz besonders Katzen liebt. Vielleicht sind deswegen auch Tweets mit Fragen nach Katzenbildern – wie die beiden hier zitierten –die vielleicht erfolgreichste Variante von Impulsen für eine Social Media Interaktion. Auf unterschiedlich formulierte Fragen nach Katzenbildern gibt es oft vier- bis fünfstellige Reaktionen – vielleicht posten Besitzer*innen von Katzen auch einfach gerne deren Bilder?
3.
Der Account @threat_update teilt regelmäßig Bilder, in denen die Farbe des aktuellen Bedrohungsniveaus genannt und dann mit einer poetischen Beschreibung definiert wird. Vielleicht drückt der Bot so mit am exaktesten aus, wie sich das Leben in einer Risikogesellschaft anfühlt.
In eigener Sache:
Ich habe beschlossen in Zukunft bei Gelegenheit diesen kleinen Absatz hinzuzufügen, um darauf hinzuweisen, was gerade aktuell bei mir stattfindet und thematisch zu diesem Newsletter passt. Am Dienstag in der nächsten Woche sprechen die Künstlerin Jiajia Zhang, der Linguist Thomas C. Messerli und ich moderiert von Federica Patti im Istituto Svizzero in Mailand über Memes als Formen ästhetischer Praxis – man kann sich hier anmelden und Online teilnehmen und ich freue mich sehr drauf. Außerdem haben wir von 54books in Kooperation mit Lakonisch Elegant einen Podcast über die Lyrik produziert, die als Reaktion auf den Krieg mit der Ukraine in den sozialen Medien geschrieben und geposted wurde und wird.
Außerdem werde ich aus “Automaton” lesen und zwar am 1. April in Greifswald, am 3. April in Schaffhausen und am 4. April in Engen.
Dieses Foto des Lebenszyklus von Blüte bis Brombeere hat mir sehr gut gefallen. In diesem Video kann man sehen, wie man sich in den isländischen Westfjorden aus einem verschneiten Haus befreit und dieses Video ist eine der lustigsten Varianten des TikTok Gemälde-Filters, die ich bis jetzt gesehen habe. Dieser virale Tweet eines gezeichneten Portraits hat mich laut loslachen lassen.
Wie immer findet ihr mich auch Twitter, Instagram oder TikTok. Wir lesen uns wieder in der nächsten Woche, bis dahin könnt ihr einen dieser Filme schauen: