Herzlich Willkommen zur 86. Ausgabe dieses Newsletters. Eigentlich sollte bereits der letzte Newsletter die letzte Ausgabe in 2022 sein, aber dann habe ich eine kurze Jahresrückblickausgabe geschrieben und plötzlich gedacht, dass es viel sinnvoller ist, diesen Newsletter am 31. Dezember zu verschicken. Deswegen gibt es also ausnahmsweise einen Samstagsnewsletter.
Phoneurie wird mittlerweile von 2654 Menschen abonniert, im vergangenen Jahr sind tausend Follower*innen hinzugekommen. 51 zahlende Subscriber*innen unterstützen diesen Newsletter regelmäßig, vielen Dank! Die Themenrecherche und das Schreiben dieses Newsletters benötigen viel Zeit: Leser*innen, die meine Arbeit weiter ermöglichen wollen und können, haben deswegen die Möglichkeit zahlende Subscriber*innen zu werden:
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Das Jahr 2022 geht zu Ende und nicht nur ich, sondern auch wirklich viele Menschen in Deutschland haben in diesem Jahr sehr viel Zeit in den sozialen Medien verbracht. Wer dazu genauere Zahlen wissen möchte, kann sich die ARD/ZDF Online Studie anschauen, die bestätigt, was wir vermutlich alle sowieso schon geahnt haben: Wir sind sehr oft und lange in den sozialen Netzwerken unterwegs.
In unseren Timelines entstehen Memes und virale Takes und Shitposts, wir entrüsten uns über dies und jenes, teilen kleine Momente aus unserem Alltag oder Frust über große politische Zusammenhänge. Über all diese Dinge schreibe ich seit zwei Jahren in diesem Newsletter, der dadurch auch eine Art persönliches Archiv meiner Timeline ist. Deswegen tauchen manchmal kleinere Memes nicht auf, die vielleicht bei anderen sehr wichtig sind, aber nicht in meine Timeline schwappen. Andere Memes sind dafür so populär, dass sie globale Resonanz erzeugen und deswegen früher oder später auch in diesem Newsletter landen. Denn Memes haben im vergangenen Jahr nicht nur sehr viele Menschen unterhalten und zum mitmachen angeregt, sie waren ein entscheidender Inhalt unserer Timelines in den sozialen Medien und es wurde vielfach versucht mit ihnen Politik zu machen.
Man hört den Begriff Meme zwar ständig, weil er ganz zentral für die Internetkultur ist, aber die Definition ist alles andere als eindeutig. Ich persönlich bin der Meinung, dass Memes vor allem ein sozialer und spielerischer Prozess sind, bei dem ganz entscheidend ist, dass viele Menschen kreativ mitmachen, indem sie einen Inhalt aufgreifen, verändern und oft auch verschiedene Memes aufeinander beziehen. Es gibt unterschiedliche Formate von Memes, manche sind bild- oder textbasiert, andere finden in Form von Tänzen oder Songs statt und das alles ist auch ein bisschen abhängig von den Plattformen, auf denen sie entstehen. Aktuell entstehen die meisten Memes auf TikTok oder bei Twitter (mehr dazu kann man in dieser tollen Recherche nachlesen), aber ein richtig erfolgreiches Meme wandert irgendwann über alle Plattformen.
Bereits Anfang des Jahres ging es schon mit dem Riesenerfolg des Online-Spiels “Wordle” los, bei dem man durch ausprobieren und geschicktes Platzieren von Wörtern das Ausgangswort erraten muss. Man konnte für einige Wochen den Wordle-Grafiken kaum entkommen, mit denen User*innen ihren Lösungserfolg in den sozialen Medien teilten. Auf den typischen Bildern mit den gelb-grünen Vierecken wurden dann unzählige Witze aufgebaut. Wordle wurde zum ersten großen Meme des Jahres 2022.
Ein anderes Meme, das sich 2022 sehr weit verbreitet hat, ist das Corn Boy Meme, das im Sommer auf TikTok entstand. In einem viralen Clip erklärt ein kleiner Junge seine tiefe Liebe für Mais und verwendet dabei eine Reihe sehr lustiger Phrasen. Ausschnitte aus dem Sound wurden dann zu einem Song remixed, dem man kaum entkommen konnte. (Ich mochte übrigens auch das “My Money don’t Jiggle Jiggle, it folds!”-Meme und die Tänze sehr gerne)
Weil Memes und ihre sozialen und politischen Auswirkungen noch nicht sehr lange auf dem Radar der etablierten Medien sind, gibt es im deutschsprachigen Raum noch gar nicht soviele interessante Beiträge mit Analysen aktueller Memes. Viele Menschen denken bei Memes immer noch an Internetspielerei, die man nicht wirklich ernst nehmen muss. Wie handfest die Auswirkungen von Memes in der Realität jedoch sind, hat sich 2022 bei dem Angriffskrieg auf die Ukraine gezeigt, der ganz erheblich auch in den sozialen Medien geführt wurde. (Ich habe hier und hier zwei Newsletter speziell zum Thema “Krieg in den sozialen Medien” geschrieben.)
Besonders in den ersten Monaten nach dem Kriegsausbruch wurden die sozialen medien mit Memes geflutet und dann hat sich mit der NAFO – der North Atlantic Fellas Organisation – sogar eine virtuelle Organisation gebildet, die ganz bewusst mit Memes versucht, die Ukraine zu unterstützen:
Die NAFO-Memes zeigen, wie extrem politisch Memes manchmal sind und wie versucht wird mit den Mitteln der Internetkultur Resonanz zu erzeugen.
Im vergangenen Jahr wurden viele politische oder gesellschaftliche Großereignisse von Memes begleitet. Denn je wichtiger ein Ereignis ist und je mehr Reichweite es in den Medien bekommt, desto wahrscheinlicher ist es, dass auch Memes dazu entstehen. Das haben wir 2022 ganz konkret beispielsweise zum Tod der Queen gesehen, der in den sozialen Medien wirklich stark begleitet wurde und immer wieder neue Meme-Spiralen ausgelöst hat.
Manchmal erzeugen auch kleinere im globalen Vergleich eigentlich unwichtige Ereignisse so prägnante Medienbilder, dass sofort Memes entstehen. Dazu gehörte beispielsweise im Frühjahr 2022 der Moment als Will Smith bei der Oscar-Verleihung dem Komiker Chris Rock eine Ohrfeige gab, was sofort zu einem Meme wurde.
Ein anderes Beispiel für ein großes Ereignis, das mit Memes begleitet wurde, war die Weltmeisterschaft in Qatar, aus der auch einige Memes entstanden sind. Besonders das Bild von der deutschen Nationalmannschaft mit zugehaltenem Mund ließ sich vielfältig für Bild-Text Memes einsetzen, was besonders auf Twitter viel gemacht wurde (Disclaimer: unter anderem von mir, lol).
Die Twitter-Übernahme durch Elon Musk hat für eine Weile die Meme-Kultur auf Twitter vollständig dominiert und für extrem viele virale Tweets gesorgt, mit denen die Nutzer*innen ihrem Frust über die Musk-*bernahme auf der Plattform Luft gemacht haben. Man hatte das Gefühl, dass mit jeder neuen Aktion von Musk wieder neue Memes auftauchten, jeder populistische Edgelord-Tweet von Musk die Aufregungsspirale weiter fortsetzte. Musk eigent sich sowieso hervorragend als Meme-Vorlage, weil von ihm so viel absurdes Bildmaterial existiert, das sich besonders dafür eignet, in Memes verarbeitet zu werden.
Ich beende diesen Jahresrückblick selbstverständlich mit meinem Lieblingsmeme des Jahres. Und es ist [Insert: halbenthusiastischer Trommelwirbel] das CBAT-Meme, das mit einem Redditpost begann. In dem Post teilte ein User die Geschichte, dass seine Freundin sich von ihm getrennt habe, weil er immer beim Sex ein bestimmtes Lied eingeschaltet habe.
Besagtes Lied ist der Song CBAT von dem DJ Hudson Mohawke, der einfach herrlich unpassend klingt. Zum Lied entstanden dann wirklich unzählige TikTok Videos und Tweets, in denen sich die Menschen über diese Songauswahl amüsierten. Für mich war das eines der lustigsten Memes in 2022.
PS: Passend zum Jahresende hat Greta Thunberg mit einer superviralen Antwort auf den Maskulinisten und Internetkriminellen Andrew Tate noch einen der am meistgefavten Tweets jemals produziert und damit auf Twitter den Diskurs zum Jahresende dominiert.
PPS: Ich wünsche euch allen auf jeden Fall einen guten Jahreswechsel und schenke euch meinen allerliebstes Song zum Neuen Jahr.
Wir lesen uns 2023 wieder!
Wie konnte das CBAT-Meme nur an mir vorbeigehen? Ich bin dankbar, dass ich diesen Newsletter gefunden habe:)