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Ich mache im Verlauf der Woche immer Notizen, in denen ich mögliche Themen für diesen Newsletter festhalte. In dieser Woche war einer dieser Punkte “Daddy Söder” – immerhin habe ich bereits in früheren Newsletter ausführlich darüber geschrieben, wie Politiker*innen zu Memes werden und teilweise auch selbst mit dieser Rezeption spielen und sie für Aufmerksamkeit nutzen. Beim Schreiben dieses Newsletter hat dann der Teil zu technischen Filtern und der Kolorierung von Bildern so viel Raum eingenommen, dass ich in Bezug auf “Daddy Söder” lieber auf diesen Kommentar von Yasmine M’Barek verweise, der das Phänomen gut erklärt.
1.
Vorher-Nachher Posts jedweder Art sind ausgesprochen beliebter Content in den sozialen Medien. In Bezug auf Bilder werden besonders Reparaturen oder Verbesserungen gerne angeschaut, entweder als bildliche Gegenüberstellungen oder als Videos, die einen Restaurationssprozess dokumentieren. Der Youtube-Account “Baumgartner Restoration”, der mit vielen Videos Gemälderestaurationen dokumentiert, hat beispielsweise über 1,5 Millionen Abonnent*innen. Auch andere Youtube-Accounts und Videos, in denen beispielsweise Bonsais, Videospielkonsolen, rostige Spielzeugautos, Lederschuhe oder alte Uhren restauriert werden, haben eine große Anzahl von Clicks. Vermutlich ist es für viele entspannend und beglückend, dabei zuzusehen, wie mit viel Aufwand etwas Kaputtes repariert oder etwas Schmutziges gereinigt wird. Die Botschaft dieser Videos ist deutlich: Mit gut ausgebildeten Fähigkeiten und großer Hingabe können können die Spuren der Zeit entfernt werden, sodass fast zerstörte Dinge wieder wie neu aussehen.
Restauration ist auch bei Photographien beliebt. Es gibt zahlreiche Accounts, in denen gezeigt wird, wie private Fotografien, die ausgeblichen, zerrissen oder beschädigt sind, auf Wunsch ihrer Besitzer aufwändig repariert und manchmal auch nachcoloriert werden. Dass diese Reparaturen im Privatbereich große Freude verursachen können, ist unbestritten.
Es sind jedoch nicht nur Privatbilder, die diesen Veränderungen unterzogen werden. In den letzten Jahren ist besonders die gründliche Einfärbung historischer Aufnahmen als teilbarer Content in den sozialen Medien beliebt gewesen. Dabei wird oft das Argument verwendet, dass eine Farbigkeit den Betrachtenden die Geschichte näher bringen würde, dass die Berührung mit der Vergangenheit intensiver wäre, wenn diese nicht in unscharfen und ausgeblichenen schwarz-weiß Bildern gefangen wäre. In einem Beitrag über den österreichischen Künstler Mario Unger steht:
“The photo retoucher began the project with the aim to narrow the visual gap between history and modern life. “The reason for doing all of this work was to reduce the felt distance in time a little bit,” Unger explains. “I love to transport feelings from the past into the present day and that only works with ‘real’ colors.” The artist’s colored versions of the past reveal a clearer depiction of what life might have really been like, and highlight details we might have otherwise missed.” (Emma Taggart: “Colorized Photos Breathe New Life Into Famous Faces From History.” In: My Modern Met. 11.9.2018)
Auch andere Künstler*innen haben sich mit der Kolorierung historischer Aufnahmen einen Namen gemacht. Einige besonders ikonische Fotos finden sich in fast allen Portfolios, darunter unter Anderem eine Aufnahme der ersten amerikanischen Tätowiererin Maud Wagner aus dem Jahr 1907. Die Aufnahmen sind auf Twitter als Vorher/Nachher-Tweets beliebt, aber auch als Videos bei Youtube, die den Prozess der Kolorierung ausführlicher zeigen.
Kritik an dieser Veränderung historischer Aufnahmen und der Vorstellung, dass eine starke nachträgliche Bearbeitung einen besseren Zugang zur Geschichte ermögliche, wird mittlerweile lauter. Ein Skandal der letzten Woche wird diese Grundsatzdebatte zusätzlich befeuern. Der irische Künstler Matt Loughrey, der für seine Kolorierungen von historischen Fotos bekannt ist, hat in Kooperation mit Vice am 9. April einen Artikel veröffentlicht, für den er Aufnahmen von Opfern des Genozids in Kambodscha nachkoloriert hatte. Es stellte sich jedoch heraus, dass er nicht nur Farbe hinzugefügt, sondern auch die Mimik der Personen auf den Bildern verändert hatte, sie beispielsweise lächeln ließ.
Die massive Kritik an Projekt und Vice-Artikel, nicht nur in den sozialen Medien sondern auch von Seiten der Regierung Kambodschas, hat dazu geführt, dass der Beitrag bereits am Sonntag gelöscht wurde.
Mittlerweile gibt es jedoch noch mehr Kritik an Bildern aus Matt Loughreys Portfolio, beispielsweise an historischen Polizeifotos aus Australien, die ebenfalls verändert worden sind.
Die Aufnahmen erinnern so auf sehr unangenehme Art und Weise an mit dem Lächel-Filter aus FaceApp bearbeitete Bilder, mit denen man AI gestützt historischen Fotografien ein Lächeln ins Gesicht zwingen kann. (Matt Loughrey arbeitet mit X-Oculy übrigens an einer eigenen Lösung um die Gesichtsausdrücke auf historischen Fotografien in Bewegtbilder zu verwandeln.)
Die Bildbearbeitung mit AIs ist schon öfters Gegenstand dieses Newsletters gewesen, besonders in Bezug auf die Veränerung von statischen Aufnahmen zu Bewegtbildern mit Apps wie Wombo oder DeepNostalgia von MyHeritage. Schon 2020 hatte die Website MyHeritage einen viralen Hit gelandet, als sie – ebenfalls AI gestützt – ihren Nutzer*innen anbot ihre alten Aufnahmen kolorieren zu lassen und diese Funktion viele Millionen Male genutzt wurde. Menschen interessieren sich offensichtlich für die Manipulation historischer Aufnahmen und AI gestützte Software macht diese Bearbeitung allen Interessierten sehr leicht zugänglich.
Auf Youtube sind immer mehr Videos zu sehen, die mit DeOldify nachträglich koloriert, geschärft und verbessert worden sind. Der Youtube Kanal von Denis Shiryaev hat über eine halbe Million Subscriber und es gibt noch andere Kanäle mit ähnlichem Profil. Die Kommentare unter seinen viele Millionen Male geschauten Videos mit nachträglich bearbeiteten historischen Aufnahmen scheinen auf den ersten Blick die Annahme zu bestätigen, dass die Anpassung an moderne Sehgewohnheiten, zu einer höheren Identifikation mit der Vergangenheit einlädt. Neben den vielen Kommentaren beispielsweise unter diesem Video, die auf die Vergänglichkeit menschlichen Lebens hinweisen (“I feel strange when I think all these people are not existing in this world anymore.”) wird auch immer wieder ein Unbehagen kommuniziert (“This feels like something I wasn't supposed to see. Like watching someone else's memories or something.”)
Die Wahrnehmung der Realität und dazu gehört auch die Wahrnehmung historischer Artefakte verändert sich durch die neuen Filtermöglichkeiten drastisch (Ich schrieb darüber bereits einmal hier). Neben den ethischen Fragestellungen, die daraus entstehen und mit denen wir uns befassen müssen, stellen sich auch Fragen in Bezug auf das Verhältnis zur Vergangenheit, dass diese gefilterten Aufnahmen von Fotos und Videoaufnahmen vergangener Epochen möglich machen. Wird uns dadurch Geschichte wirklich näher gebracht oder eine künstliche Näher erzeugt, die auf verzerrten Darstellungen der Vergangenheit basiert?
In einem Twitter-Thread mit einem Experiment, bei dem sie historische Farbaufnahmen in Graustufen umwandelte und dann wieder von einer AI kolorieren lässt, zeigt Gwen C. Katz, dass die entstehenden Farbeindrücke wenig mit der historischen Realität zu tun haben.
2.
In einer Zeit, in der Menschen viel zu Hause sind, weniger soziale Kontakte haben als sonst und Kinder vor Bildschirmen Unterricht machen müssen, wird das WLAN zur heiß umkämpften Ressource. In Medienbeiträgen wird die erhöhte Bildschirmzeit vieler Kinder und Jugendliche beklagt, aber es gibt auch gute Gegenbeispiele, die darauf hinweisen, dass Multiplayer-Games für viele Kinder gerade eine der wenigen Möglichkeiten sind spielerisch mit Gleichaltrigen zu interagieren und man ihnen diese virtuellen Treff- und Kontaktmöglichkeiten nicht nehmen sollte.
Auf Twitter sehe ich immer mehr Elterntweets über die Tricks, mit denen sich Kinder dem Online-Unterricht entziehen oder versuchen mehr Medienzeit für sich auszuhandeln. Hier gibt es den Screenshot eines Briefes, in dem Kinder erklären, warum limitierte Bildschirmzeit “shitty and stupid” ist. Kinder täuschen ihre Eltern, um mehr Computer spielen zu können. Bereits im letzten Frühjahr haben chinesische Teenager ihre Lernapp DingTalk in großer Zahl mit 1-Star Reviews versehen (Review Bombing), um sie aus dem Appstore geworfen zu bekommen.
3.
In der Fernsehserie “Höhle der Löwen” haben zwei Männer 30.000€ für die Entwicklung des Menstruationshandschuhs Pinky bekommen, mit dem man seinen Tampon herausziehen und direkt entsorgen kann. Diese erstaunlich blöde Idee, eigentlich ein ahnungsloses Mansplaining in Form eines pinken Handschuhs, hat zumindest für sehr viele sehr lustige Tweets gesorgt. Sogar Ikea hat mitgemacht.
Die Blockade des Suez-Kanals hat zu einer Knappheit von Gartenzwergen in britischen Geschäften geführt. Hier sind zwei gute Tweets mit Empfehlungen für lustige TikTok-Accounts zum Einstieg. Eine sehr traurige Visualisierung des Verschwindens der Monarchfalter, die an der Westküste der USA überwintern, kann man hier anschauen.
Ein beliebtes Motivationsgenre in den sozialen Medien ist die Binsenwahrheit, dass es nie zu spät ist, etwas neues zu beginnen. Auf diesem Muster baut dieser Tweet auf, immerhin war Dracula schon 412, als er auf der Suche nach frischem Blut nach England reiste. Ein Wissenschaftler hat einen Marsstein geleckt, weil Twitter das so wollte. Ich bin jetzt noch gespannter, was in der nächsten Woche passiert.
Ich wünsche euch einen erholsamen Sonntag und einen guten Wochenstart! Auch in dieser Woche ein Dank an alle, die sich bei mir mit Hinweisen oder einer freundlichen Nachricht gemeldet, den Newsletter gefavt oder geteilt haben.
Wenn euch dieser Newsletter gefällt oder ihr Menschen kennt, die sich über diesen Newsletter freuen würden, dann bin ich euch wie immer sehr für Weiterempfehlungen dankbar. Wie immer findet ihr mich auf Twitter und auf Instagram.
Toll, der längere Teil über die Kolorierung von historischen Aufnahmen und die dabei auftretenden Konflikte und Diskussionen. Danke!