Über den Klang Schwarzer Löcher, Endbosse und traurigen Zynismus
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In Island sind die Johannisbeeren erst im späten August reif – ein perfekt-analoger Einleitungssatz für einen Internetnewsletter. Ein bisschen passt der einleitende Satz aber doch, weil ich – bis jetzt noch ohne konkrete Ergebnisse – aufgrund der vielen Beeren vor meinem Fenster darüber nachgedacht habe, wie eigentlich globalisierte Jahreszeitlichkeit in den sozialen Medien funktioniert.
Das klingt nun sehr pompös, aber damit meine ich vor allem, dass sich lokale Kalender von Flora und Fauna nicht an dominante Social Media Zyklen halten. Je globaler der eigene Feed ist umsomehr entsteht ein Stream überlagerter Zeitlichkeit, was man an Insta-Bildern von Johannisbeeren, die in Deutschland im Früh- und in Island im Spätsommer auftauchen, sehr gut erkennen kann.
1.
Das Internet liebt es, wenn Dinge hörbar gemacht werden. Posts mit Clips oder Soundfiles, in denen man den Klang von etwas hören kann, am besten noch zum allerersten Mal, werden häufig viral geteilt. Biodata Sonification – das Musik machen aus mit Sensoren eingefangenen Daten von beispielsweise Pflanzen – ist beispielsweise immer wieder ein großer Erfolg. Der Account @modernbiology lässt auf TikTok regelmäßig Pilze, Zypressen oder Seegras “singen” und erreicht damit ein großes Publikum.
Aktuell durften wir die Klänge eines Schwarzen Loches in diesem superviralen NASA-Tweet anhören und viele haben sich an einen Tweet erinnert gefühlt, in dem der Klang einer Mumie zu hören war.
Das beste an diesen Sound-Clips sind die unzähligen Remixe und Bearbeitungen, die sofort auftauchen, wie hier unter diesem viralen Mumien-Sound-Tweet (der auch schon mit einer falschen Soundeinspielung arbeitet, hier ist das Original). Und apropos Klang: Hier findet ihr ein Video von einem Hund der Blubberblasen ins Wasser bläst.
2.
Ich glaube, dass man anhand der unterschiedlichen Sätzen, die in den verschiedenen “Girl Explaining” und “Bro Explaining”-Memes den abgebildeten Memefiguren in den Mund gelegt wurden und werden, eine Studie über die Genderdimension von Meme-Humor machen könnte: Hier ist ein interessanter Thread, der diesen Gedanken etwas weiter ausführt. Ich persönlich habe das “Girl Explaining”-Meme, das in den letzten zwei Wochen viel auftauchte, vor allem in zwei Varianten gesehen: Infodumps mit feminin konnotierten Spezialinteressen oder implizite Kritik an Diät- und Beauty-Tipps (und es gab diese Version, die mich sehr gefreut hat).
Ein anderes Meme, das ich in der letzten Woche häufiger sah, ist das Meme mit Ryan Gosling und Steve Carell. Wie sehr viele Red Carpet Memes funktioniert es vor allem durch den Outfit-Gegensatz der beiden, der besonders gut für das Spiel mit Klassifizierungen (Accounting/Finance) geeignet ist.
Mir gefallen Memes mit Bildern aus Filmen, von roten Teppichen, von Politik-Events oder auch mit Stockphotos besser als Memes, die auf Basis dekontextualisierter Privatbilder entstehen. Im Kontext des “Girl Explaining”-Memes kam die Frage auf, ob es eigentlich okay ist, sich an einem Meme zu beteiligen, bei dem man nichts oder nur sehr wenig über die abgebildten, vielleicht sogar minderjährigen Personen weiß.
Ich finde das eine sehr interessante Frage und auch ein komplexes Dilemma, weil sich hier das Recht am eigenen Bild auf neue Formen viraler Verbreitung von Memes trifft. Bei den frühen Image Macros, wie dem Success Kid, die ich in der Bildsprache weniger komplex fand, hat es mich nicht gestört. In diesen frühen Memes, die einem heute extrem simpel vorkommen, wurden die abgebildeten Personen auf eine prototypische menschliche Eigenschaft oder eine sehr klar definierte Bedeutung reduziert und alle Textvarianten spielten mit dieser Eigenschaft. Beim Success Kid, war das eben “Erfolgserlebnis”:
In vielen neueren Memes sehe ich ein komplexeres Spiel mit Bedeutungen, indem z.B. aus dem Zusammenhang gerissene Aufnahmen (Partygespräch in einer Bar) zur Illustration einer bestimmten Form von Kulturkritik oder einem bestimmten gesellschaftlichen Phänomen verwendet werden. Text und Bild haben hier einerseits mehr Deutungsspielraum und andererseits werden Memes aktuell auch sehr rasch zur Waffe in den etablierten Kulturkämpfen. Und ich bin mir unsicher, ob man Bilder völlig fremder Personen auf diese Weise instrumentalisieren sollte. Vermutlich ist es vom Einzelfall abhängig, aber grundsätzlich finde ich es gut sich darüber Gedanken zu machen, was es ethisch bedeutet an bestimmten Memes zu partizipieren.
3.
In der letzten Woche tauchten in vielen Timelines mehrere virale Tweets mit Kommentaren zu Bildern des Papstes vor Pericle Fazzinis Skulptur La Resurrezione / The Resurrection auf. Das Interesse an Bildern dieser Skulptur ist nicht superneu, regelmäßig sorgen Aufnahmen von Fazzinis La Resurrezione / The Resurrection in den sozialen Medien für Aufsehen. Das wird – typisch für Social-Media-Meta-Moves – natürlich auch jedes Mal von unzähligen Leuten kommentiert, als wäre es etwas Neues, dass ein Reservoir virale Bilder im Internet immer wieder neue Konjunkturphasen hat. Oft sammeln sich in den Drukos zu Bildern von Fazzinis Skulptur Kommentar, in denen es darum geht, dass diese Skulptur, die katholische Kirche oder der Vatikan “Metal as Fuck” sind:
Ich finde jedoch am Interessantesten, dass die Skulptur von 1977 offensichtlich in den letzten Jahren mit Verweisen auf Computerspiele und Computerspielästhetik in einen weiteren Bezugrahmen gesetzt wird – von Final Fantasy VII über Final Fantasy XIII bis Elden Ring.
(Hier gab es einen Tweet von @GesineHopstein, der “Games als ikonografisches Bezugssystem” als interessantes kunstdidaktisches Thema für den Kunstunterricht in der Schule einordnete)
Die Papst als Endboss in Memes ist jedoch auch nicht komplett taufrisch (hier kommt jetzt mein eigener analytischer Meta-Move). Erinnert sich noch wer an den einsamen Endboss-Papst in der Frühphase der Pandemie?
Der Papst hat als Endboss bzw. als ultimativer Antagonist bereits in Assasins Creed II von 2009 eine zentrale Rolle gespielt und auch in Blasphemous von 2019 wird mit der Figur “His Holiness Escribar” ein papst-ähnlicher Endboss präsentiert. Es ist also nicht verwunderlich, dass Bilder des echten Papstes in den sozialen Medien in Bezug zu diesen Spielwelten gesetzt werden. Inwieweit das nun eventuell ein Säkularisierungs- oder Post-Säkularisierungsphänomen ist (genau wie das “Pope Francis Holding Things-Meme”, über das ich einem ganz frühen Newsletter schrieb), müssen berufenere Menschen als ich herausfinden.
In eigener Sache:
Mein zweiter Roman Automaton ist jetzt seit knapp sechs Monaten im Buchhandel, es war ein spannendes halbes Jahr und ich möchte euch an dieser Stelle nochmal – ganz uneigennützig und ohne jedweden Bias natürlich – auf das sehr gute Buch hinweisen.
Mich machen Bannerwerbungen, in denen eine Fliege über den Screen läuft oder ein Riss angedeutet wird, immer fertig, weil ich j e d e s Mal drauf reinfalle. Nun hier ist ein entsprechender Tweet, der es sogar ankündigt und trotzdem…
Wir leben in einer Hochphase von Tanz und Body Comedy und ich liebe es! In einem Video von cost_n_mayor, einem erfolgreichen Social Media Tanzduo, wurden alle iPhone Signaltöne in kurze Choreographien umgesetzt. Es war eine gute Rickrolling-Woche (hier und hier), ich bin selbst oft erstaunt, wie langlebig dieses Meme einfach ist.
Mit diesem sehr schönen AI Art-Witz wünsche ich euch einen guten Sonntag. Ihr findet ihr mich in der nächsten Zeit – wie immer – auf Twitter, Instagram oder TikTok – vielleicht teile ich mal Kaninchencontent.