Über Billionäre, Handyspiele und Präsidenten
Herzlich Willkommen zur 69. Ausgabe dieses Newsletters!
Phoneurie wird jeden Sonntag mehrere tausend Mal geöffnet und mittlerweile von 2213 Menschen abonniert. 49 zahlende Subscriber*innen unterstützen diesen Newsletter regelmäßig. Alle Leser*innen, die meine Arbeit an diesem Newsletter weiter ermöglichen wollen und können, haben hier die Möglichkeit zahlende Subscriber*innen zu werden:
Ihr könnt mir natürlich auch gerne via Paypal eine Schokoerdbeere spendieren, wenn euch dieser Newsletter eine Freude macht.
Ich starte diese sonntägliche eMail ausnahmsweise einmal mit einem Rück- und Ausblick auf diesen Newsletter selbst: Als ich im Herbst 2020 angefangen habe Phoneurie zu schreiben, hatte die große Newsletter-Reanaissance des Jahres 2020 in den USA schon volle Fahrt aufgenommen. Seitdem ist viel passiert und die wiedergefundene Begeisterung für Newsletter ist auch in Deutschland angekommen. Mittlerweile gibt es, neben den schon seit Jahren etablierten, eine immer größeren Zahl an wirklich empfehlenswerten neurn Newslettern, deren Subscriber*in man werden kann.
Seit 2020 habe ich 69. Ausgaben dieses sonntäglichen Newsletters geschrieben. Im Verlauf der ersten Monate habe ich für mich ein Format gefunden, das mir Freude macht und das ich für das Thema des Newsletters angemessen finde. Es gab von Anfang an viel Resonanz und Enthusiasmus, eine regelmäßig anwachsende Zahl an Leser*innen und viele Hinweise und Rückmeldungen. Seit dem 16. Newsletter im Frühjahr 2021 kann man diesen Newsletter als bezahlende Subscriber*in unterstützen und seit Mai 2021 habe ich zusätzlich auch eine Paypal-Adresse veröffentlicht. Seitdem habe ich einiges an finanzieller Unterstützung von euch empfangen – dafür danke ich wirklich sehr!
Für alle, die auch die ökonomische Seite des “vom Schreiben Lebens” interessiert: Aktuell ergibt die Kombination aller Einnahmen aus Paypal und Subscriptions (nach den Abzügen von Substack) knapp 50€ brutto pro Newsletter, was mich sehr freut. Es ist jedoch tatsächlich so, dass ich für diesen Newsletter jede Woche ungefähr einen Arbeitstag investiere, denn das Konzeptionieren, die Recherche nach Hintergrundinformationen und das Schreiben selbst benötigt mehrere Stunden. Ich arbeite beim Schreiben dieses Newsletters also wirklich deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn von 9,82€ pro Stunde. Deswegen muss ich mir leider mittlerweile eingestehen, dass ich mir diesen Zeitaufwand einfach nicht mehr leisten kann, weil ich in dieser Zeit eben auch Texte schreiben könnte, von deren Honorar ich besser leben kann.
Ich hab nun eine Weile hin und her überlegt, was eine gute Lösung für dieses Dilemma ist, denn es macht mir wirklich weiterhin viel Freude diesen Newsletter zu schreiben und ich bin auch sehr froh über das umfangreiche Archiv aktueller Memes und Online-Phänomene, das mittlerweile entstanden ist. Dieser Newsletter hat doch recht offensichtlich seit seinem Beginn immer wieder Leser*innen auch für eigene Arbeiten inspiriert und das freut mich sehr. Ich möchte auch, weil ich das zeitaktuelle Nachdenken über Online-Phänomene wichtig finde, auf keinen Fall eine geschlossene Paywall einführen, sondern Phoneurie weiterhin für alle Interessierten offenhalten. Aus diesem Grund werde ich jedoch die Frequenz des Erscheinens leider reduzieren müssen. Dieser Newsletter wird also in Zukunft vierzehntägig erscheinen.
1.
Eigentlich wollte ich schon im Newsletter von vor zwei Wochen über Plattformmüdigkeit schreiben, warum man manchmal nach vielen Jahren in einer Art virtuellen Lieblingskneipe realisiert, dass man plötzlich lieber woanders hingeht oder sogar zu Hause bleibt. Aber dann war in der Woche soviel passiert, dass ich es auf diesen Newsletter verschoben habe. Dazwischen fiel nun Elon Musks Ankündigung bei Twitter groß einsteigen zu wollen und die sofort daraus resultierenden vielfältigen Reaktionen.
Ich selbst merke bei mir in den letzten Monaten eine zunehmende Distanz zu den Aufmerksamkeitszyklen von Twitter. Mir fällt außerdem die zunehmend zeitnahe Verarbeitung von Twitter-Dingen in den etablierten Massenmedien auf, deren Angestellte sich sehr offensichtlich viel auf der Plattform aufhalten. Daraus resultieren dann Artikel, wie dieser hier, die einen Nachrichtenwert aus Twitter-Interaktionen herauspressen, der meiner Meinung nach in keinem Verhältnis zur Relevanz des Geschehenen steht:
Und natürlich ist eine Plattform, die solcherart Aufmerksamkeit im Wasserglas generiert, für toxische Narzissten wie Elon Musk ein verführerischer Happen. Wo sonst kann man mit der für ihn typischen Mischung aus überdrehtem Unsinn, selbstbesoffenem Quatsch und Crypto derartige Aufmerksamkeitsstürme verursachen. Das ist nun Jahre nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten auch nichts genuin Neues, Twitter liebt Polarisierung, Gebrüll und gigantische Egos. Gleichzeitig machen diese Persönlichkeiten aktuell den Context Collapse angesichts des Angriffskrieges auf die Ukraine nochmal schrecklicher.
Immer mal wieder gibt es jedoch die unglaublich gebildeten ausführlichen Threads von Menschen mit Expertise, die aberwitzigen Shitposts, die herzerwärmenden Interaktionen und die grandiosen Sprachspielereien wegen der ich mich vor Jahren in die Plattform verliebt habe. Aber es kommt mir momentan immer schwieriger vor, den anhaltenden Noise herauszufiltern.
2.
Nach vielen online verschwendeten/verbrachten Lebensjahren macht es mir ziemliche Freude zu sehen, dass manche Memes einfach in Zyklen immer wieder kommen. Ich habe nun also die Ehre zu einem virtuellen Äquivalent der grummelig auf der Gartenbank sitzenden älteren Dame zu werden, die bei jeder Modeerscheinung sagt “Das gab es doch vor x Jahren schonmal.”
Es ist jedoch tatsächlich erstaunlich, wie nachhaltig die ziemlich kurzlebige und später von Twitter gekaufte Video-Plattform Vine viele Memes geprägt hat. Auf Vine wurden 6-Sekunden Videoclips geteilt, die dann also Loop abgespielt wurden. Im November 2014 teilte der User @meechonmars ein Clip seines Gesichtes, während ein im Bild nur teilweise zu sehendes Kind zu ihm sagt “You got games on your phone?” Der Loop wurde sehr oft abgespielt und seine virale Verbreitung sorgte für die Entstehung verschiedener Varianten des Memes “You got any Games on your Phone.”
Als Bildmeme macht es in den darauffolgenden Jahren Furor, wahlweise mit Bildern von schniefigen Kindern oder von Tieren mit großen Augen und Variationen der Überschrift “Got any Games on your phone?” Mittlerweile findet sich das Meme auch auf TikTok in Variationen unter dem Hashtag #gotanygames und als viraler Trend mit dem Sound des Users @Fueyruss, der ein erfolgreiches “Got any Games” Video machte. Auch auf Reddit sorgte der oben abgebildete Post mit dem schniefenden Wasserhahn gerade vor einigen Monaten für viel Aufmerksamkeit – das Meme taucht regelmäßig wieder auf.
Vielleicht ist das Pattern so erfolgreich und seit fast einer Dekade stabil, weil es einerseits extrem leicht zu bespielen ist und andererseits viel Raum lässt für eigene Kreativität. Im deutschsprachigen Twitter kursieren aktuell wieder regelmäßig “Hast du Spiele auf deinem Handy”-Tweets, also übersetzte Varianten des Memes.
3.
Der französische Präsidentschaftswahlkampf ist in vollem Gang und hat in den letzten Wochen zu zahlreichen Macron-Memes geführt. Die zunehmende Memifizierung von Präsident Macron wurde verstärkt durch die regelmäßige Veröffentlichungen von Präsidentenfotos auf Instagram – besonders dem Konto von Macron selbst und dem seiner offiziellen Fotografin Soazig De La Moissonnière – die sich perfekt für Memes eignen. Besonders die Nahaufnahmen mit faltig-nachdenklichem Gesicht und die Aufnahmen in eher privat wirkenden Situationen oder informeller Kleidung sorgen für Resonanz. Im Wahlkampfkontext ist die anhaltende Sichtbarkeit von Kandidat*innen als Meme in den sozialen Medien mittlerweile definitiv zu einem wichtigen Aufmerksamkeitsfaktor geworden und wird durch die Kampagnen mehr oder weniger strategisch bespielt.
In der letzten Woche enstand neben den vielen viralen Tweets um die Fernsehdebatte von Macron und Le Pen eines der typischen Bildklassifizierungsmemes, die sich in den letzten Jahren so oft auf Twitter finden :
4.
Vermutlich habt ihr dieses Reaktionsbild in den letzten Wochen auf Twitter und in Messageboards ziemlich oft gesehen. Es taucht eigentlich ständig unter Twitter-Posts auf, in denen auf irgendeine Form von Fehler oder Versagen Russlands im Angriffskrieg gegen die Ukraine hingewiesen wird. Das Bild ist ein Screenshot aus einem Video, in dem ein ukrainischer Soldat interviewt wird und dabei erzählt, wie ziellos ihm die russischen Bombardierungen vorkommen. Am Ende schüttelt er resigniert-verständislos seinen Kopf, während in der Ferne Explosionen zu hören sind. Der Videoausschnitt wird seitdem immer wieder geteilt und sorgt für die entsprechende Resonanz, anschauen kann man sich das Video hier.
Mit diesem sehr guten Videoclip eines Vogels mit Golfbällen wünsche ich euch einen schönen Sonntag. In den nächsten zwei Wochen findet ihr mich wie immer auf Twitter, Instagram oder TikTok.