Sommernewsletter: Elefantenrüsselmuschel (Geoduck)
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Ich bin in den Ferien und selbst überrascht davon, wie angenehm es ist, gleichzeitig ganz viel aber gar nichts Ernsthaftes zu tun. Deswegen gibt es auch – wie angekündigt – einen etwas kürzeren Sommerferien-Newsletter mit einem Thema, das meiner Meinung nach perfekt in den Monat Juli passt.
Über das virtuelle Leben von Flora und Fauna könnte man vermutlich lange Texte schreiben, die Katze als eines der beliebtesten Online-Phänomene und Memes ist sowieso allgegenwärtig, aber seit einigen Jahren taucht eine immer größere Bandbreite von Tieren in den Timelines auf, während parallel ihr natürlicher Lebensraum stetig mehr bedroht wird. Twitter-Accounts mit regelmäßig geteilten Bildern von Waschbären, Opossums oder Enten sind supererfolgreich und werden viel für Memes, zur Tweet-Illustration via Drüberkommentar oder für Object Labeling verwendet, während parallel eine Klimakatastrophen-Meldung nach der nächsten durch die Timelines jagt. Context Collapse als Online-Realität in Zeiten der Klimakatastrophe bedeutet also einerseits unglaublich viele Bilder und Clips von Tieren in der Timeline zu sehen, die sich mit den permanent geteilten Wetterkarten abwechseln, die wieder neue Rekorde und Hitzewellen vorhersagen.
In diesem Sommernewsletter will ich über ein Meerestier schreiben, dem man in den letzten Wochen in den meisten sozialen Medien eigentlich nicht entkommen konnte: Die Elefantenrüsselmuschel, auf Englisch Geoduck. Die lustig aussehende Muschel ist mittlerweile ein TikTok-Meme, was auch an einem viralen Clip mit Aufnahmen des TikTok-Powerhouses Khaby Lame lag. Der Hashtag #Geoduck hat auf TikTok mittlerweile über 214 Millionen Aufrufe. Videos, in denen Geoducks gehandhabt oder gegessen werden, sind superbeliebt für Stitches oder Duette (TikTok-Clips bei denen fremde Videos in eigene Clips integriert werden).
Der Khaby Lame Geoduck Clip ist gar nicht von Lame selbst produziert worden, sondern von einem Fanaccount, der einen Auszug aus einem Clip vom July 2021, in dem Khaby Lame auf verschiedene Varianten Pasta abzugießen reagiert, mit einem Mukbang Video vermischt, in dem eine junge Frau die Muschel (Geoduck) verspeist.
Über den faszinierenden Mukbang-Trend, bei dem in Videoclips große Mengen an Essen verspeist werden, habe ich bereits in diesem Newsletter geschrieben. Mukbang-Videos, in denen Menschen sich bei beim Essen filmen, sind aus vielen verschiedenen Gründen populär (dazu gibt es bereits eine längere Untersuchung hier, und Artikel hier und hier) und das Essen von Meeresfrüchten ist Teil des Trends. (Ein toller Mukbang Account ist übrigens @mukbanggongsam und man lernt viel über das Phänomen, wenn man die Clips anschaut.)
Mukbang-Duette oder -Stitches, bei denen auf Videos reagiert wird, in denen Meerestiere gegessen werden, sind auf TikTok recht populär. Teilweise werden bei den Reaktionsclips jedoch starke antiasiatische Klischees reproduziert, denn immer wieder wird in den Reaktionen und Kommentaren Ekel über das Essen von Meeresfrüchten und die als sonderbar empfundenen Esskulturen ausgedrückt.
Die Geschichte der Elefantenrüsselmuschel – Geoduck – die mittlerweile ein virales Eigenleben führt, ist ziemlich interessant: Die Muscheln können wahnsinnig alt werden, einige Exemplare sind deutlich über hundert Jahr alt. Eine kommerzielle Fischerei des Tieres, das an der nordamerikanischen Pazifikküste heimisch ist, gibt es erst seit den 1970er Jahren. Aufgrund der Ähnlichkeit der Elefantenrüsselmuschel mit einem Penis, wird ihr angeblich eine Wirkung als Aphrodysiakum nachgesagt, aber vermutlich ist es eher der besondere Geschmack und die Seltenheit der Muschel, der für den Verkaufserfolg in Asien sorgt.
Inzwischen ist die Muschel zu einer Art Garant für viralen Mukbang-Erfolg geworden – seit einigen Jahren werden immer wieder Supercut-Geoduck-Clips geteilt und auch auf Youtube finden sich zahlreiche sehr erfolgreiche Videos.
Die Muscheln werden von Taucher*innen gesucht und gefangen, der Preis pro Stück ist so hoch, dass sich die aufwändige Fischerei lohnt. Wie bei vielen wertvollen Naturprodukten gibt es mittlerweile auch eine Gefährdung bestimmter Habitate, illegale Fischerei und kriminelle Verkäufe (hier ist ein spannender Artikel über die Geoduck Fischerei). Der virale Erfolg der Geoduck-Essvideos sorgt außerdem für die steigende Popularität der Muschel, fördert die Neugier zukünftiger Konsument*innen und trägt zur Entwicklung des Marktes für die Muschel bei – die Elefantenrüsselmuschel wird dann vom TikTok-Meme zum Lebensmitteltrend.
In eigener Sache:
Ich schreibe ab jetzt alle vier Wochen eine Kolumne in der FAS, in der ich Fragen zur Technikkultur beantworte. In der ersten Ausgabe geht es um die Frage, ob Twitter sich freuen kann, dass Musk nicht kommt.
Mit diesem Sommer-Newsletter wünsche ich euch einen guten Restjuli. Ihr findet ihr mich in der Zeit nach meinem Urlaub – wie immer – auf Twitter, Instagram oder TikTok.