Sommerferien mit Lo-fi Klanglandschaften, Filmtänzen und Kojoten
Wie ich in meinem letzten Newsletter angekündigt habe, schicke ich heute einen kleinen Sommerferien-Newsletter, bevor es am 8. August wieder richtig losgeht. In den letzten drei Wochen hat es so viele gute Memes und virale Tweets gegeben, dass ich zahlreiche Newsletter hätte füllen können: das niederländische Königspaar zu Besuch bei Angela Merkel, Mark Zuckerberg am 4th of July und ein Meme mit einem Blaufußtölpel. Ich hoffe der August wird ähnlich interessant. Für den Sommerferiennewsletter habe ich aber ein Thema, das gar nichts mit Memes zu tun hat.
Ich höre zum Arbeiten sehr gerne Lo-fi Musik in langen Youtube-Videos, die speziell auf diesen Sound ausgerichtet sind. Lo-fi bezeichnet als Begriff ursprünglich eine Musikästhetik, in der Fehler und Unsauberkeiten nicht entfernt werden, sodass eine Art handgemachter Eindruck mit analoger Wärme entsteht. Auf Youtube sind Lo-fi Videos mittlerweile seit Jahren extrem beliebt, um den Fokus und die Konzentration zu erhöhen, weil sich das Gehör angeblich auf die klanglichen Imperfektionen ausrichtet und das Gehirn dadurch in einen Modus erhöhter Wahrnehmung gerät. Das ist zumindest die Begründung, die oft von den Fans dieser Videos gegeben wird.
Die Bandbreite des Lo-fi Soundes auf Youtube ist groß, häufig gibt es Mixe mit Hip Hop Sound, 80er Jahre Synthesizernr oder dem Klang von alten Computerspielen. Typisch für die Ästhetik der Clips sind Bilder mit gut gemachten unauffällig kleinen Animationen, wie einer dampfenden Kafeetasse oder einem fahrenden Auto. In den Kommentaren der einzelnen Videos werden oft affirmative Kommentare über den Effekt der Clips oder die Erinnerungen, die der Sound auslöst, geteilt. Mittlerweile gibt es sogar eigene Lo-fi Parodien.
Ich interessiere mich seit einer Weile besonders für Lo-fi Videos, die eine Art retrotopische Ästhetik vermitteln, indem Musik aus der Vergangenheit mit Ambient-Geräuschen zu komplexen Klanglandschaften verwoben wird. Die Videos sollen eine eigene Geschichte vermitteln, die auch in Titel und Videobeschreibung deutlich gemacht wird. Der erfolgreiche Kanals Nemo’s Dreamscapes mit über 300.000 Subscribern produziert beispielsweise Videos, in denen die Hörenden auf einem Bootshaussteg mit Partygeräuschen und Wasserplätschern im Hintergrund das grüne Leuchten von Daisy Gatsby beobachten, unter einem Baum im Regen mit Alice im Wunderland schlafen oder nachts in Paris am offenen Fenster den Geräuschen in der Nachbarwohung lauschen. Die Videos sind mit ASMR ähnlichen Geräuschen überlagert, also knisternden und knackenden Sounds, die angeblich bei den Zuhörenden wohlige Reaktionen auslösen.
Diese nostalgischen Klanglandschaften basieren auf vergangenen Bild- und Erzählwelten, die medial vermittelt sind, von Aristocats bis zu Great Gatsby. Vermutlich ist diese Ästhetik retrotopisch im Sinne Zygmunt Baumans, indem sie sich positiv auf eine idealisierte Vergangenheit beziehen, die eher mit verklärten kollektiven Erzählungen zu tun hat, als mit der Realität. Es ist kein Zufall, dass bei dieser Form von Lo-fi Retrotopie die Stadt Paris eine große Rolle spielt, mit einem Ambiente aus Cafés, Jazz und Chansons und urbanem Regen, das in zahlreichen Klanglandschaften zitiert wird.
Vermutlich würde es sich lohnen einmal zu schauen, welche Film- und Literaturwelten in den Lo-fi Videos besonders oft zitiert werden, welche Szenen zu einer Art retrotopischem Standardrepertoire des kollektiven Gedächtnis geworden sind, von Zugfahrt im offenen Wagen über Autofahrten auf der Rückbank eines Oldtimers bis zur Nacht am offenen Fenster einer großen Stadt. Bis dahin werde ich mich ersteinmal weiter klanglich gemeinsam mit Dorothy auf den Weg nach Oz machen.
Zur Unterhaltung für die nächsten Wochen empfehle ich euch noch den tollen Twitter-Account @DancerOnFilm, der ausschließlich Tanzszenen aus verschiedensten Filmen der Filmgeschichte teilt.
Dieser Tweet mit Screenshots von Tierfreunden, die versehentlich Kojoten aufgegriffen haben ist sehr lustig, die Antworten darunter machen ihn noch besser. Interessant sind auch diese auf Dildos sitzenden Vögel, Amazon Produktrezensionen sind grundsätzlich eine gute Quelle für lustige Tweets. Außerdem habe ich noch einen Gemälde-Thread mit Bildern, in denen Katzenbabies mit einem Löffel gefüttert werden.
Hier gab es ein sehr gut gearbeitetes Video, in dem sich jemand in zufällige Objekte verwandelt.
Ich werde jetzt bald das Land wechseln, meine Sachen sind schon eingepackt. Das nächste Mal melde ich mich aus Reykjavík mit einem regulären Newsletter.