Herzlich Willkommen zur 98. Ausgabe dieses Newsletters!
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Vermutlich seid ihr überrascht, plötzlich eine Ausgabe “Phoneurie” in eurem Posteingang zu finden – Ich war auch überrascht, als ich heute morgen plötzlich wieder Lust hatte den Editor für diesen Newsletter zu öffnen. Ich habe aufgehört zu schreiben, als Twitter / X sich im Niedergang befand. Damals habe ich immer mehr gemerkt, dass mir die Plattform weniger Freude bereitet. Es hat sich nicht mehr gut angefühlt reglmäßig einen Ort zu Analysieren, an dem ich mich nur noch ungerne aufgehalten habe. Nun schreibe ich heute zum ersten Mal seit langem wieder einen Newsletter und er soll sich um die Frage drehen, wann eine Plattform angekommen ist.
In meiner englischsprachigen Timeline geht es seit dem Wahlerfolg von Donald Trump und dem massiven Ansteigen der Bluesky Nutzerzahlen (kann man hier beobachten) regelmäßig um die Frage, ob Bluesky nun den Juice hat, also über Reichweite, Macht und Einfluss verfügt. “Bluesky has 'the juice' — but it still doesn't have the normies” schreibt der Business Insider vor zehn Tagen.
Am Beispiel von Blueksy wird viel darüber nachgedacht, wann eine Plattform genug Momentum hat, um eine andere (Twitter / X) zu ersetzen – irgendwo war da auch noch Threads, aber Meta bleibt weiterhin schmerzhaft schlecht darin dynamische und coole Produkte zu entwickeln. Viele stellen sich die Frage, ob Twitter / X überhaupt funktionieren kann, wenn es einen linken bis linksliberalen Exodus gibt. Im Atlantic wird unter der Überschrift “The Right Has a Bluesky Problem” gefragt , ob die Rechte ihre politischen Ziele überhaupt erreichen kann, wenn auch die “Normies” von der Plattform verschwinden. Ryan Broderick vom Newsletter Garbage Day macht unter der Überschrift “Right-wing social networks don't work” den sehr überzeugenden Punkt, dass die Internetrechte von Cyberbullying und Brutalität lebt und deswegen den politischen Gegner für ihre sozialen Netzwerke braucht.
In Österreich haben viele große Accounts gemeinsam Twitter / X verlassen (mehr dazu hier) und auch in Deutschland planen eine Reihe großer Twitter-Accounts ihren kollektiven Abschied von einer Plattform, die zunehmend unbenutzbarer wird. Große institutionelle Accounts wie die Fußballclubs St. Pauli und Werder Bremen sind mittlerweile auf Bluesky und auch etablierte Medien wie der Guardian haben Twitter / X verlassen. Die Ankunft von Großaccounts und wichtigen Institutionen wird von vielen als Zeichen für den Relevanzgewinne von Bluesky gelesen.
Obwohl man den Einfluss großer Accounts für die Relevanz einer Plattform nicht vom Tisch wischen kann, zeigt sich ihr Durchsetzungsvermögen im Alltag meiner Meinung nach woanders. Die meisten Terminally Online-Internetkulturjunkies sind nicht auf Plattformen um dort passiv die weisen Worte von Pundits und Poliker*innen in Empfang zu nehmen, sondern um in chaotischem, kollektivem Fun auf aktuelle Ereignisse zu reagieren: Memes.
Erfolgreiche Memes erzeugen bei User*innen das Gefühl, dass eine Plattform den Saft hat (see what I did there?). Im englischsprachigen Bluesky gab es diesen Moment schon im Frühjahr, als ein bekanntes Sexobjekt der späten 80er die Timelines flutete: Alf
Im Frühjahr 2023 war das englishcsprachige Bluesky nach einem Post von Faine Greenwood randvoll mit “Sensual Alf”-Memes. In einem ziemlich spannenden Newsletter “How I Accidentally Ruined Bluesky With Pictures of Sexy Alf” schrieb Greenwood über ihre Erfahrungen mit diesem Internetmoment, einen ziemlich bezeichnenden Satz: “I hadn’t had this much chaotic, relatively harmless fun on the Internet in a very, very long time."
In diesem Satz steckt eine fundamentale Wahrheit über das Internet. Menschen sind Online um zu lernen, um zu diskutieren, für politischen Aktivismus, aber sie sind dort eben auch und vielleicht sogar vor allem, weil es Spaß macht. Der Fun bei einem niedrigschwelligen Meme mitzumachen, die “Immer einen Drüber”-Logi von Meme-Momenten, die Überraschung wenn besonders lustige Posts in die Timeline fliegen sind ein Grund dafür, weswegen Menschen gerne im Internet sind. Niemand hat die Energie für permanenten politischen Kampf, Beschimpfungen, Hass. Internetspaß ist auch eine Möglichkeit Energie zu tanken und mit kreativem Spott auf eine Realität zu reagieren, die oft nicht gerade leicht ist.
Vielleicht hat sich deswegen der Pyramiden-Moment am Abend des 28. Novembers in meiner deutschsprachigen Timline so angefühlt, als würde ein sehr sehr trockener Boden endlich wieder etwas Wasser sehen. Der Moment begann, als der unsägliche Schlachtplan der FDP veröffentlicht wurde und die lächerliche, falsch aufgebaute Schlachtplan-Pyramide ihren Weg ins Internet fand und eine Unmenge an Witzen inspirierte:
Als Johannes Franzen dann auf die Pyramide aus dem FDP-Dokument mit einem Post Bezug nahm, begann das “Jetzt gehen die Liberalen zu weit”-Meme:
Die Geschwindigkeit mit der sich das Meme aufbaute und die vielen Beiträge mit unterschiedlichen Pyramiden-Formen und dem Satz “Jetzt gehen die Liberalen zu weit” folgte der typischen Meme-Logik: Variationen, Abweichungen, Meta-Kommentare, Kreative Kombinationen mit bereits etablierten Memes. Und es war vor allem eins: Fun!
Das deutschsprachige Twitter hatte also gestern seinen Alf-Moment aus chaotischem, harmlosen Fun, der parallel bei manchen sicherlich auch der Verarbeitung politischer Frustration diente. Ist das nun ein Zeichen das sich Blueksy durchsetzt? Es ist vor allem ein Zeichen dafür, dass man auf Bluesky mittlerweile die Dinge finden kann, die viele an ihrerer früheren Twitter / X-Timeline geliebt haben: Dynamik, Spaß, (politsche) Memes.
Wie es weitergehen wird in dieser chaotischen Zeit der Plattformfragmentation bleibt spannend. Ich werde in Zukunft immer mal wieder über solche Internetmomente schreiben und freue mich drauf!
vielen dank, dass du uns wieder an deinen geistreichen gedanken teilhaben lässt <3
Was den Spaß bei Xitter am erfolgreichsten gekillt hat war die Umstellung der Replies Anzeigen. Früher wurden unter kontroversen und/oder viralen Tweets immer die besten/lustigsten/geistreichen Antworten zuerst gezeigt, heute nur noch der Schrott den jemand reintippt der eine Xitter-Blue subscription hat.
Habe deswegen einen Großteil meiner SoMe-for-fun-Nutzung auf Reddit verlagert, wo man dieses Prinzip beibehalten hat. Mal schauen ob sich das bei bsky auch wieder einstellt.