Über mittelalterliche Teppiche, Stummfilmtechnik und den Mars
Gefällt euch Phoneurie? Für alle, die meine Arbeit unterstützen wollen und können, habe ich die Möglichkeit hinzugefügt den Newsletter zu abonnieren. Der sonntägliche Newsletter wird auch weiter für alle Interessierten zugänglich bleiben, aber ich möchte in Zukunft gerne allen zahlenden Subscribern gelegentlich Einblicke in meine laufenden Projekte anbieten.
Aktuell handelt es sich dabei um mein Vorhaben eine Art “Internet Grimoire” zu schreiben. Es geht um die Frage, wie sich magisches Denken mit dem virtuellen Raum verbindet, wie ein oberflächlich archaisches System wie die Zauberkunst sich neue Technologien zu Nutze macht: Emoji-Zaubersprüche, Twitter-Flüche, evil Captchas usw.
Gerade sitze ich an einem ersten Subscriber-Newsletter, der auf die Frage eingeht, was ein Internet Grimoire sein könnte und was wir an der Schnittstelle von Technologie und magischem Denken über die beiden Bereiche erfahren können.
Ich möchte diesen Newsletter nur mit einem Ereignis der letzten Woche beginnen lassen: Am 19. Februar hat sich der rassistische Terroranschlag von Hanau gejährt. Wer die zwei Twitter-Accounts der Initiative 19. Februar Hanau und der Bildungsinitiative Ferhat Unvar noch nicht kennt, sollte sie unbedingt anschauen und unterstützen.
1.
Der gestickte Teppich von Bayeux aus dem 12. Jahrhundert zeigt auf 68 (!) Metern in zahlreichen Einzelbildern die Eroberung Englands durch die Normannen und ist seit 2007 Weltkulturerbe. 2002 haben zwei deutsche Kunststudenten eine Flash-Applikation gebaut, in der mit Elementen aus dem Teppich von Bayeux eigene Bilder kreiert werden konnten. Mit der Applikation erstellte mittelalterliche Bilder wurden für eine Weile auf 4Chan als Memes geteilt und es wurden auch Animationen erstellt. Die Originalapplikation ist mittlerweile offline, aber sie wurde nachgebaut und als Open Source Code auf github gestellt. Wer also mit Auszügen des Teppichs von Bayeux spielen und eigene Bilder erstellen möchte, kann das hier tun. Auf Twitter hat eine Professorin das Programm mit ihren Studierenden verwendet. Mit der Anwendung erstellte Bilder finden sich auch immer wieder in populären Youtube-Videos mit mittelalterlichen Versionen populärer Musik. (Über Bardcore könnte man ganze Artikel schreiben.)
2.
Meinen letzten Newsletter habe ich direkt am Valentinstag versendet, da hatten die “Roses are red, Violets are blue…”-Tweets in vielen Variationen bereits zugenommen, aber so richtig vorbereitet war ich nicht auf einen Valentinstagstweet von der CIA, bei dem eine verschlüsselte Nachricht entziffert werden sollte. In den Drukos wurde dann auf vielfältige Art auch Kritik an dem Geheimdienst geübt. Viele griffen in ihrer Kritik das Gedichtformat des Vierzeilers auf: “Roses are red, Violets are blue, We overthrow democracies, And we're watching you, too”
Staatliche Institutionen haben zunehmend eigene Strategien für ihre Social Media Auftritte, wie man an der Twitterpräsenz verschiedener Zweige der deutschen Polizei oder der Bundeswehr sehen kann. Die humorvolle Selbstpräsentation kann verharmlosend wirken, wie die Antworten auf den Tweet der CIA eindrucksvoll zeigen.
Mehr denn je beanspruchen die deutschen Polizeien, direkt auf die Öffentlichkeit einzuwirken und ihre Version der Wirklichkeit zu präsentieren. Sie schaffen mittels Twitter Mediensprünge: Tweets landen häufig ungeprüft in den Artikeln der Journalisten. Das ist eine problematische Gratwanderung, denn die Polizei wird auf Twitter damit selbst zum politischen Player. Und Twitter zu ihrem Machtverstärker. (“Influencer in Uniform: Wenn die Exekutive viral geht” netzpolitik.org, 5.3.2018)
3.
Ein Kälteeinbruch in Texas hat dort zu einer katastrophalen Situation geführt, die besonders arme und benachteiligte Bevölkerungsgruppen hart getroffen hat. Tweets von Menschen, die ihre aktuellen Umstände zeigen, gingen in der letzten Woche immer wieder viral, von Ventilatoren mit Eiszapfen bis zu unkontrollierten Bränden aufgrund eingefrorener Hydranten. Als sich herausstellte, dass Ted Cruz, der Senator von Texas, mit seiner Familie nach Cancun geflohen war, um den unangenehmen Umständen zu entkommen, explodierte Twitter. Dieses PR-Desaster hat zu zahlreichen Memes und Kombinationen mit älteren Memes geführt. Man darf gespannt sein, inwieweit sich die politische Karriere von Ted Cruz erholen wird.
4.
1998 erschien die Gameboy Kamera, die man in den Spielslot der Gameboys stecken konnte und die in pixeliger schwarz-weiß Ästhetik digitale Bilder aufnahm. Ein Jahr später wurde die Kamera als kleinste Digitalkamera der Welt sogar in das Guinness Buch der Weltrekorde aufgenommen. Als nur bedingt erfolgreiches technologisches Experiment gestartet, stieg der Beliebtheitsgrad der Kamera in späteren Jahren. Das anhaltende Interesse an der Gameboy Kamera hat vermutlich mit der Retroästhetik von Gerät und Bildern zu tun. Eng damit verknüpft ist auch die kreative Herausforderung durch die formale Einschränkung bei der Fotografie mit der schlichten Kamera. Vor kurzem hat ein Freund mit seiner Gameboy Kamera ein Foto von mir gemacht und es mir geschickt. Als ich es auf Twitter geteilt habe, wurde ich auf eine Website aufmerksam gemacht, die gewöhnliche Photos in die Gameboy Fotoästhetik umwandelt. Im Umgang mit der Gameboy Kamera lassen sich einige Entwicklung der Fotografietechnik nachvollziehen, von Versuchen mit dreifachen Farbfiltern farbige Bilder zu produzieren bis zu einer AI, die Gameboy Bilder in fotorealistische Bilder umwandelt.
5.
Die NASA hat eine erstaunliche Menge an Social Media Accounts und nimmt die Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sehr ernst. Zu der beeindruckend langen Liste gehören auch anthropomorphisierende Twitter Accounts, mit denen einzelnen NASA-Geräten eine Persönlichkeit gegeben wird. Der Curiosity Rover, der sich seit 2012 auf dem Mars befindet, hat bereits seit 2008 einen eigenen Account. Die 2006 gestartete Raumsonde New Horizons ist seit 2014 auf Twitter und die bereits 1977 gestarteten Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 haben seit 2010 einen Account. Die einzelnen Geräte tweeten nicht regelmäßig, manchmal gibt es Pausen, wenn gerade wenig passiert. Vor der Landung des Mars Rovers Perseverance äußerte der Mars Rover Curiosity auf Twitter seine Vorfreude. Diese Äußerung wurde kombiniert mit einem Videoclip, der die Schwierigkeiten des Landeprozesses erläutert. Die persönlichen Äußerungen der mit menschlichen Gefühlen ausgestatteten NASA-Geräte sind so immer ein Einstieg in die Öffentlichkeitsarbeit und die Wissensvermittlung. Zur Landung gratulierten dann auch die Voyager-Sonden. Der Account des Perseverance Mars Rovers berichtet seit der Landung regelmäßig und unter dem speziellen Hashtag werden auch Fragen der Twitter-Nutzenden beantwortet. Die Mission wird also auch in den sozialen Medien außergewöhnlich gut begleitet. Raumforschung wird mit den anthropomorphisierten Geräten so zu einer personalisierten Geschichte auf Twitter.
6.
Über einen Tweet des Accounts @Foone, den ich euch in dieser Woche empfehlen möchte, bin ich auf einen schönen Filmtrick gestoßen, der auch auf TikTok umgesetzt wird. In einem langen Thread aus dem Jahr 2018 analysiert Foone den Einsatz von verschiedenfarbigem Licht, um in frühen Filmen bestimmte optische Effekte zu erzielen und wird in der anschließenden Kommunikation noch auf zahlreiche weitere Beispiele hingewiesen. 2020 findet Foone dann auf TikTok einen viralen Clip, der dasselbe Verfahren einsetzt, mit rotem und blauen MakeUp und farbigem Licht spielt. Der zitierte Account ist von @iigormorales und er produziert regelmäßig Clips mit diesem Effekt, beispielsweise dieses Duett in rot und blau. Auf TikTok lässt sich in vielen Clips beobachten, wie ästhetische und formale Verfahren und Tricks aus der Frühphase des Films eingesetzt werden, von Slapstick-Tricks bis zu dem hier angeführten Beispiel mit farbiger Beleuchtung.
Zum Abschluss habe ich hier noch den Link zu einem Video mit einer interessanten optischen Illusion, einen lustigen Tweet über Orte, Krimis und das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm und einen Kuchenteig, der wie ein Hintern aussieht (sorry).
Das war jetzt bereits der 19. Newsletter, seitdem ich im letzten Jahr mit diesem Projekt angefangen habe. Ich freue mich weiterhin sehr, dass dieser Newsletter jedes Mal wieder auf soviel Resonanz stößt.
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