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Über Feuerwerk, Tiefseefische und Klappstühle
In den USA hat die Amtseinführung von Joe Biden erfolgreich stattgefunden und wurde auf Twitter eifrig begleitet, kommentiert, teilweise auch subtil-spöttisch aufgegriffen und natürlich sind dabei auch einige Memes entstanden. Ich habe den Eindruck, dass ich durch das Sammeln für den Newsletter und das zusammenfassende Schreiben noch stärker mitbekomme, wie oft Politik in Memes übersetzt wird. Trotzdem versuche ich weiterhin die Augen nach Dingen aufzuhalten, die wenig mit tagespolitischer Aktualität zu tun haben, den kleinen Absurditäten und faszinierenden Phänomenen, denen man auch begegnet, wenn man sich in den sozialen Netzwerken bewegt.
1.
Die um 1900 veröffentlichten illustrierten Kataloge der japanischen Firmen Hirayama Feuerwerk und Yokoi Feuerwerk sind digitalisiert worden. Die Illustrationen der Feuerwerkseffekte der angebotenen Feuerwerkskörper sind wunderschön und es lohnt sich bei der Yokohama Bibliothek vorbeizuschauen, bei der sich die kompletten Digitalisate als PDF finden.
2.
Bei der Amtseinführung von Joe Biden hat der Senator Bernie Sanders mit pandemiebedingtem Abstand und bekleidet mit wetterentsprechend dicken Fäustlingen im Publikum gesessen. Das Bild vom etwas grummelig-frierenden Bernie auf seinem Klappstuhl verbreitete sich in viralen Tweets rasch und schon bald wurde der sitzende Bernie aus dem Bild herausgeschnitten und in verschiedenste Bilder eingefügt. Dem “Bernie Sanders in a Chair”-Meme war in den Stunden und Tagen nach der Amtseinführung kaum zu entkommen – hiervon ausgehend könnte man sicherlich eine komplette Systematisierung von Memes im politischen Diskurs vornehmen. Vermutlich kommen mehrere Gründe zusammen, die den durchschlagenden Erfolg dieses spezifischen Memes erklären:
Das “Einer-von-uns”-Gefühl, was Bernie Sanders mit seiner pragmatischen Kleidung inmitten zahlreicher Menschen in glamourösen langen Mänteln vermittelte, fand sich bereits in einem früheren viral geteilten Bild, auf dem Bernie mit einem Briefumschlag unter dem Arm bei der Amtseinführung abgebildet ist, als hätte er noch einen kurzen Abstecher zum Briefkasten eingeplant. Körperhaltung und Gesichtsausdruck ordnen Bernie Sanders in eine Reihe von Memes mit Bildern von Personen und Tieren ein, die “grumpy” wirken und sehr beliebt sind. Es gibt offensichtlich eine grundsätzliche Faszination für Bilder einsam sitzender mächtiger Männer, die zu Memes werden, von “Sad Keanu” bis “Robert Habeck in der U-Bahn.” Pragmatisch hat bei der Verbreitung des Memes sicherlich auch geholfen, dass bereits früh ein aus dem Originalfotos sauber ausgeschnittener Bernie auf transparentem Hintergrund geteilt wurde. Hier wurden in einem langen Thread sehr viele Beispiele des Memes gesammelt.
Das Meme ist aufgrund des mürrischen Bernie Sanders anschlussfähig für all diejenigen, die Bidens Wahlsieg zwar als geringeres Übel unterstützt, aber sich dennoch einen stärkeren Richtungswechsel gewünscht haben oder den Pomp der Amtseinführung grundsätzlich kritisch betrachten. Es bietet aber gleichzeitig auch Anlass der großen Freude über eine andere Hauptperson als Donald Trump spielerisch Ausdruck zu geben. Das politische Großereignis wird so nicht nur passiv konsumiert, sondern aktiv begleitet. Das relativ unschuldige Meme mit seinen Anklängen an frühere Internetphasen wirkte nach den aus Washington dringenden Bildern der letzten Woche entlastend. Diese Integration widersprüchlicher Meinungen, politischer Ansichten und Motivationen ist sicherlich einer der Gründe für den Erfolg des Memes. Außerdem gab es für die Handschuhe auch noch eine sympathische Hintergrundgeschichte, die das Meme noch zusätzlich beflügelte.
Die Serialität der Memeproduktion und das kollektive Vergnügen, bei der in immer neuen Variationen ein ständiger Überbietungswettbewerb abläuft, wird oft in den zugehörigen Kommentaren thematisiert: “Nur dieses eine noch”, “Jetzt wurde eine Linie überschritten”, “Das ist das Allerbeste!” In der späteren Phase sehr erfolgreicher Memes, werden oft bereits existierende Memes mit dem neuen Meme kombiniert: Habeck und Bernie; Bernie, Ievan Polkka und Vibing Cat, Jason Momoa Meme und Bernie; SeaShanty-Bernie, Grumpy Cat und Bernie usw. Es gibt eine Figur des sitzenden Bernie jetzt als Handarbeitsanleitung bei Ravelry und auch die Muster für die Handschuhe finden sich bereits in zahlreichen Varianten. Es gibt sogar einen Snapchat-Filter mit dem Bernie Sanders in eigene Aufnahmen eingefügt werden kann. Auch Institutionen und zahlreiche Prominente beteiligten sich an dem Bernie-Meme. Sogar die Frankfurter Rundschau baute das Meme in die Titelseite ein. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob Memes außerhalb ihres Produktionskontextes eigentlich überhaupt funktionieren können.
3.
Am 20. Januar wurde der Podcast 20 Jahre alt und passend dazu entbrannte im deutschsprachigen Twitter die Begeisterung für die Clubhouse-App. Die Kombination aus Exklusivität, die App ist bisher nur für iPhone-User*innen und nur via Einladung zugänglich und hibbeliger Sehnsucht nach sozialen Events führte zu einem Hype und zahlreichen Clubhouse-Tweets, in denen Veranstaltungen angekündigt und kommentiert wurden, Witze gemacht oder über das Phänomen nachgedacht wurde. Besonders eine Veranstaltung, in der mit prominenten Rechten diskutiert wurde, sorgte für Kritik.
4.
Neben dem superviralen Bernie-Meme gab es zur Amtseinführung auch noch zahlreiche andere Memes und virale Tweets. Ich hätte initial vermutet, dass der große goldene Friedenstaubenanstecker in Lady Gagas Outfit aus ihrem Auftritt zur Amtseinführung mehr Memepotenzial haben würde, ähnelte er doch dem Mocking Jay-Anstecker aus den Hunger Games. Stattdessen gab es ein Meme zu einer Fotografie, die aussah, als würde Lady Gaga wie eine Herrscherin zu den anwesenden Truppen sprechen. Wie bereits zur letzten Amtseinführung gab es zahlreiche Tweets, deren Witz auf den Büchern aufbaute, auf die der Amtseid geschworen wurde.
Ob die Ähnlichkeit des Outfits von Kamala Harris mit Lisa Simpson als Präsidentin ein Zufall war oder sogar mit Blick auf eine Verbreitung in Memes gewählt wurde, wieß niemand – aufgefallen ist die Ähnlichkeit jedoch. Mehrere virale Tweets spielten mit dem Gegensatz von Bildern des Kapitolsturms und der feierlichen Amtseinführung. Mit diesem Bild hat das “Trump Yelling at Lawn-mowing Boy”-Meme, das auch in diesem Newsletter wiederholt aufgegriffen wurde, vielleicht einen Abschluss gefunden:
5.
Der empfehlenswerte Twitter-Thread aus dieser Woche wurde von @RebeccaRHelm gepostet und vergleicht verschiedene Meerestiere mit dem sitzenden Bernie Sanders als Maßstab.
Eigentlich wollte ich in diesem Newsletter noch über dieses Meme nachdenken, aber das verschiebe ich, nachdem der Bernie-Teil so ausführlich geworden ist, auf die nächste Woche.
Auf dieser Website mit einer Weltkarte kann man verschiedene Länder und Jahrzehnte anklicken, um einen Eindruck zu bekommen, was an lokaler Musik in diesen Jahrzehnten im Radio gespielt wurde. Das Ganze ist mehr Spielerei als historisch verifiziert und teilweise ziemlich willkürlich (ich habe es für Island mal durch die Jahrzehnte ausprobiert und die Lieder sind nur bedingt die erfolgreichen Radiohits der Dekade), aber man kann beim Spielen mit den Parametern auf sehr spannende Musik stoßen.
Ein Crowdfunding für so ein wirklich eigenwilliges Sandwich würde ich übrigens ohne zu zögern unterstützen.
ist schon der 15. Newsletter, seitdem ich im letzten Jahr angefangen habe jeden Sonntag die Interneteindrücke der Woche zu sammeln und einzuordnen. Ich freue mich sehr, dass dieser Newsletter jedes Mal wieder auf soviel Resonanz stößt.
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